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Politik: Griechenlands Graben

Athen lässt an der Grenze zur Türkei eine tiefe Mulde ausheben – Ankara spottet darüber

Mit Kritik und Spott hat die türkische Regierung auf die Nachricht vom Bau eines tiefen Grenzgrabens durch den Nachbarn Griechenland reagiert. Wer Gräben aufreiße, könne am Ende selbst hineinfallen, sagte EU-Minister Egemen Bagis. Flüchtlinge werden sich wohl kaum von dem Graben aufhalten lassen, meinen auch Experten. Dass der Pleite-Staat Griechenland dennoch viel Geld für ein solches Bollwerk ausgebe, sei merkwürdig und besorgniserregend, unterstrich Bagis. Die Buddelei könnte die türkisch-griechische Annäherung untergraben, weil sie in Ankara als Symbol europäischer Abgrenzung verstanden wird.

Tag und Nacht arbeite die griechische Armee an dem Graben entlang des Grenzflusses Meric (griechisch: Evros), berichten türkische Medien. Insgesamt 120 Kilometer lang, 30 Meter breit und sieben Meter tief wird das Abwehrbollwerk, das laut griechischen Medien mit Wasser aufgefüllt werden soll und dessen Bau als „militärische Operation“ eingestuft wird. Die türkische Zeitung „Hürriyet“ meldete, die meisten griechischen Soldaten, die derzeit an der Landgrenze zur Türkei stationiert seien, sollten nach Fertigstellung des Grabens in die Ägäis verlegt werden. „Hürriyet“ zufolge soll der Graben auch als Panzersperre zur Abwehr eines möglichen türkischen Angriffs dienen.

Damit wirkt der ans Mittelalter erinnernde Graben erst recht wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten. In den 1990er Jahren standen Griechen und Türken tatsächlich kurz vor einem Krieg – allerdings nicht an der Landgrenze, an der jetzt der Graben entsteht, die aber zwischen den beiden Ländern völlig unstrittig ist. Damals ging es um Ansprüche auf eine unbewohnte Felseninsel in der Ägäis, wo der Grenzverlauf undefiniert ist. Heutzutage droht jedoch auch in der Ägäis kein Krieg mehr. Zwischen Ankara und Athen laufen seit geraumer Zeit vertrauliche Regierungsgespräche über eine Beilegung des Konflikts. Selbst der Streit um Zypern konnte der Erholung der türkisch-griechischen Beziehungen bisher nichts anhaben. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zählt seinen griechischen Kollegen Giorgos Papandreou inzwischen zu seinen Duz-Freunden. EU-Minister Bagis, ein enger Berater Erdogans, zeigte sich dennoch besorgt: Er hoffe, dass Griechenland mit dem Projekt nicht eine „außenpolitische Krise“ provozieren wolle, um von den inneren Problemen abzulenken.

Die Erdarbeiten an der Grenze sind bereits das zweite griechische Abwehrprojekt in diesem Jahr. Im Januar verkündete die Athener Regierung den Bau eines Grenzzaunes, um Flüchtlinge aus der Türkei abzuhalten. Der Zaun wurde bisher nicht gebaut. Die Türkei ist ein Transitland für jährlich zehntausende Menschen aus Asien und Afrika, die nach Europa wollen. Ankara tue alles, um den Strom einzudämmen, sagte ein hochrangiger türkischer Diplomat dem Tagesspiegel. Griechenland bezweifelt das.

Muzaffer Vatansever, Griechenland-Expertin der Ankaraner Denkfabrik USAK, sieht den Graben als Folge überkommener Athener Abwehrreflexe gegenüber dem großen Nachbarn Türkei. Weder militärisch noch flüchtlingspolitisch ergebe das Projekt einen Sinn, sagte Vatansever dem Tagesspiegel. Zwar habe Griechenland allen Grund zur Sorge wegen des Flüchtlingsansturms. Doch Zäune und Gräben seien nicht der richtige Weg, um damit umzugehen.

Eine politische Lösung ist aber schwierig. Vor wenigen Monaten unterzeichneten Europäer und Türken ein sogenanntes Rückübernahmeabkommen. Der Vertrag würde die Türkei verpflichten, alle Flüchtlinge wieder aufzunehmen, die über ihr Territorium ohne gültige Papiere nach Westeuropa gelangen. Doch umgesetzt wird der Vertrag nicht, weil die EU es ablehnt, gleichzeitig Verhandlungen über Visa-Erleichterungen für türkische Bürger bei Europa-Reisen aufzunehmen.

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