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Die Berliner Ringbahn in Fahrt

© dpa/Paul Zinken

Harald Martenstein: Berlin schafft sich ab

Berlin will Verspätungen bei der S-Bahn bekämpfen, indem die Züge nicht mehr an jeder Haltestelle stoppen. Je stärker sich der Senat für ein Thema engagiert, desto schneller kommt der Rückbau der Stadt voran. Eine Glosse.

Berlin will Verspätungen bei der S-Bahn bekämpfen, indem man die Züge einfach nicht mehr an jeder Haltestelle stoppen lässt. Welche das sind, wird offenbar von Fall zu Fall entschieden. Vor einigen Tagen wurde in dieser Zeitung auch über eine ebenso geniale Regierungsidee berichtet, die für bessere Verhältnisse im Berliner U-Bahn-Verkehr sorgen soll. Es wird darüber nachgedacht, die U-Bahn-Linie 4 einzustellen. Berlin befindet sich also im kontrollierten Rückbau, ähnlich wie viele andere Städte im Osten Deutschlands. Dies ist allerdings der einzige bekannte Fall, in dem eine Stadt bei steigender Bevölkerungszahl rückgebaut wird.

Der öffentliche Nahverkehr ist ein Herzensanliegen des Senats. Je stärker dieser Senat sich für ein bestimmtes Thema engagiert, desto zügiger kommt er interessanterweise mit dem Rückbau voran. Für den Klimaschutz zum Beispiel wurden im Etat 100 Millionen Euro bereitgestellt. Ausgegeben wurde bis heute kein einziger. Die Etat-Maßnahme sollte offenbar vor allem dafür sorgen, dass diese 100 Millionen nicht für andere Zwecke verpulvert werden können, etwa Kitas oder Schulen. Wann werden eigentlich die ersten Schulen geschlossen? Man könnte damit beginnen, dass nicht mehr täglich an jeder Schule unterrichtet wird, nach dem Vorbild der S-Bahn. Welche Schulen geöffnet sind, wird morgens von der Senatorin bekannt gegeben, per Aushang am Rathaus.

Erfahrungen andernorts

Zufällig bin ich in den vergangenen Monaten in ein paar europäischen Großstädten gewesen. In Paris musste ich am Gare d’Austerlitz einen Regionalzug kriegen. In der Eingangshalle stand ein Flügel, auf dem ein Mann spielte, ziemlich gut. Er war Fahrgast. Der Flügel ist ein Serviceangebot der Bahn, zur Erbauung ihrer Gäste. Neben den Schaltern waren Fahrräder fest montiert, während man in die Pedale trat, lud man kraft dieser Bewegung sein Handy oder den Laptop auf. Einmal pro Woche findet in der Bahnhofshalle ein Tanzabend statt, mit Orchester. Der Zug war so sauber, so unüberfüllt und so hübsch, dass ich dachte, ich sei im Himmel.

In Mailand war ich im San Siro Stadion, 70.000 Zuschauer, Einlass zügig, trotz strenger Kontrollen, Abtransport mit der U-Bahn ebenso. Das machen die dort computergesteuert, es würde lange dauern, zu erklären, wie. Meine nächste Großveranstaltung war das Stones-Konzert in Berlin, Olympiastadion, am Eingang wartete das Publikum eine Stunde. Viele Leute kamen von weit her, und weil die Parkplätze schlecht ausgeschildert sind, ergoss sich der Parkplatzsuchverkehr in die umliegenden Wohnviertel. Alles war exakt so wie vor 30 Jahren, als ich nach Berlin gezogen bin. Dieses Problem könnte man lösen, indem man keine Veranstaltungen im Olympiastadion mehr genehmigt.

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