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Hintergrund: Wahlkreis spezial

Wir haben einen Blick auf Wahlkreise geworfen, die sich durch ganz bestimmte Eigenheiten auszeichnen – ein besonders niedriges oder ein besonders hohes Durchschnittsalter, starke Abwanderung oder besonders viele Insolvenzen.

Am Sonntag fällt die Entscheidung: Reicht es für Schwarz-Gelb? Oder kann sich die SPD noch aus dem Umfragetief retten? Und was ist mit der Piratenpartei? Überspringt sie überraschend die Fünf-Prozent-Hürde? Die Antworten auf diese Fragen liegen morgen in den Händen von 62,2 Millionen Wahlberechtigten, die aufgerufen sind, den 17. Deutschen Bundestag zu wählen. Unter ihnen sind nach Schätzungen des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden 32,2 Millionen Frauen und 30 Millionen Männer, rund 3,5 Millionen Erstwähler, aber auch 11,4 Millionen, die das 70. Lebensjahr schon vollendet haben. Sie alle werden entscheiden, wer Deutschland künftig regiert. 598 Sitze plus eine Handvoll Überhangmandate wird der neue Bundestag haben. Insgesamt bewerben sich Vertreter von 27 Parteien um einen Sitz im Bundestag.

Mit ihren Zweitstimmen entscheiden die Wähler über die Landeslisten der Parteien. Sie legen damit die künftige Sitzverteilung im Parlament fest. Und sie entscheiden damit auch, welche Koalitionen nach der Wahl möglich werden. Die Zweitstimme wird darum oft als „Kanzlerstimme“ bezeichnet. Die Wähler machen aber nicht nur ein Kreuz neben einer Partei. Sie sind auch aufgerufen, mit ihrer Erststimme einen sogannten Direktkandidaten zu bestimmen, der für ihren Wahlkreis in den Bundestag einziehen soll. Insgesamt gibt es 299 solcher Wahlkreise in Deutschland, und zumindest die größeren Parteien stellen in jedem dieser Wahlkreise auch einen Direktkandidaten.

Das Internetportal der Wahlanalysten von election.de geht von folgendem Ergebnis in den Wahlkreisen aus und bezieht in seine Prognose die aktuellen Bundes- und Landestrends ein: CDU und CSU könnten 190 Wahlkreise gewinnen, die SPD käme auf 104, die Linke auf vier und die Grünen auf einen Wahlkreis. In 96 Wahlkreisen sei ein knappes Rennen zu erwarten, heißt es.

Wir haben einen Blick auf Wahlkreise geworfen, die sich durch ganz bestimmte Eigenheiten auszeichnen – ein besonders niedriges oder ein besonders hohes Durchschnittsalter, starke Abwanderung oder besonders viele Insolvenzen. Und wir haben Direktkandidaten aus diesen Wahlkreisen befragt, wie sie zu den jeweiligen Problemen in ihrer Region stehen, mit welchen politischen Konzepten sie ihnen begegnen.

Die meisten Schulabgänger ohne Abschluss
Nr. 13: Schwerin - Ludwigslust

Im Wahlkampf von Hans-Joachim Hacker spielen Schulabbrecher keine hervorgehobene Rolle. Und dabei beenden in seinem Wahlkreis Schwerin-Ludwigslust 12 Prozent der jungen Leute ihre schulische Laufbahn ohne Abschluss. "Ich bin dagegen, das zum Wahlkampfthema zu machen", sagt der SPD-Politiker. Das Problem müsse man langfristig angehen, gerade weil es in dem ländlichen Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern mit seinen vielen sozial schwachen Familien ein so wichtiges Thema sei. Hacker ist überzeugt, dass die Wähler ihm und nicht Dietrich Monstadt (CDU) zutrauen, diese Herausforderung zu meistern. Schon 2005 bekam Hacker deutlich mehr Erststimmen als sein damaliger Hauptkonkurrent der CDU. iseh

Die meisten Jungwähler
Nr. 88: Aachen

Nirgendwo sonst gibt es mehr Jungwähler als im nordrhein-westfälischen Wahlkreis Aachen. Das liegt nicht nur an der Universität mit 40 000 Studenten, sondern auch an den 20 000 Jobs, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten geschaffen wurden. „Oft bleiben die Studenten auch, um sich selbstständig zu machen und ein eigenes Unternehmen zu gründen. Die Stadt hat sich in den vergangenen 20 Jahren enorm entwickelt“, sagt die Wahlkreisabgeordnete und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) sichtlich stolz. Der Anteil der 18- bis 25-Jährigen macht 11,8 Prozent der Bevölkerung aus. Mit einem Jobforum und Podiumsdiskussionen hat Schmidt im Wahlkampf für die Themen der jungen Leute und damit auch um ihre Stimmen geworben. Neuer, gut angebundener Wohnraum, ein attraktives Kulturangebot und ausreichend Kinderbetreuungsplätze würden helfen, damit die Stadt auch in Zukunft für junge Leute reizvoll bleibe, sagt die Ministerin. rro

Der am härtesten umkämpfte
Nr. 187: Odenwald

„Jede Stimme zählt“ – Patricia Lips weiß: Dieser Satz ist mehr als eine Phrase. 2005 trennten die CDU-Direktkandidatin des hessischen Wahlkreises Odenwald nur 79 Stimmen von ihrer Konkurrentin Erika Ober (SPD). In keinem anderen Wahlkreis war das Rennen um Erststimmen so knapp. Lips will sich vor allem mit ihrer Infrastrukturpolitik an der Spitze halten. Und nach Angaben der Wahlanalysten von election.de könnte sie damit Erfolg haben. Ihr neuer SPD-Herausforderer, Detlev Blitz, hat aber einen Plan, um doch einen Wechsel herbeizuführen. Der industrielle Norden des Kreises wähle eher CDU, sagt er, der Süden SPD. Blitz will seinen Wahlkampf darum auf Darmstadt-Dieburg, die weniger festgelegte Region dazwischen, konzentrieren. Trotz der großen Konkurrenz im Wahlkreis Odenwald: Die Kandidaten gehen kollegial miteinander um. „Natürlich wirbt jeder um seine Positionen. Wir greifen uns aber nie persönlich an“, sagt Lips. iseh

Die höchste Kurzarbeiterquote
Nr. 228: Landshut

Wirtschaftlich sind die meisten Menschen in und um Landshut vom Autobauer BMW und desssen Zulieferern abhängig. Weil die Krise dieser Branche besonders zusetzte, lag im März dieses Jahres die Kurzarbeiterquote im Landkreis der gut situierten niederbayerischen Stadt so hoch wie nirgendwo sonst in Deutschland: bei 19,8 Prozent. Bundestags-Direktkandidat Wolfgang Götzer (CSU) ist froh, dass viele einheimische Unternehmen das Instrument der Kurzarbeit nutzen. „Hier mussten auch Betriebe schließen, aber die meisten Arbeitsplätze können so gehalten werden“, sagt er. Für Landshut will er auch zukünftig auf die Nähe zur Landeshauptstadt München, den dortigen Flughafen und auf vergleichsweise günstige Grundstückspreise in seiner Region setzen. jd

Die höchste und
die geringste Wahlbeteiligung

Nr.80 und 72: Berlin-Steglitz-Zehlendorf und Anhalt
Ein Politiker äußert sich gern, wenn bei einer Bundestagswahl in seinem Wahlkreis die höchste Wahlbeteiligung erreicht wurde. 2005 lag sie bei 83,6 Prozent in Berlin Steglitz-Zehlendorf. „Ich führe das zurück auf unsere bürgernahe Politik und die gut funktionierende Koalition mit den Grünen, die ich übrigens auch für den Bund empfehlen kann“, sagt Direktkandidat Karl-Georg Wellmann (CDU). Trotz sozialer Brennpunkte im Bezirk und einer hohen Arbeitslosenquote von mehr als 15 Prozent hätten die Leute noch Vertrauen in das Engagement der Politiker, meint er.
Besonders wenig Wahlberechtigte votierten hingegen im ehemaligen Kreis Börde in Sachsen-Anhalt, der nach 2005 neu zugeschnitten wurde. Nur 68,7 Prozent gingen hier vor vier Jahren zur Wahl. „Das ist sehr bedauerlich“, sagt Ulrich Kasparick (SPD), der damals als Direktkandidat gewählt wurde, heute aber nicht mehr antritt. „Die Börde ist ein ländliches Gebiet und hat massiv unter dem Strukturwandel gelitten. 95 Prozent der Arbeitsplätze in der Landwirtschaft sind verloren gegangen. Die Menschen sind einfach ganz allgemein von der Politik enttäuscht“, sagt Kasparick. Chancen, das politische Interesse der Menschen zu wecken, sieht er vor allem im Internet: „Twitter und die anderen Angebote müssen Parteien neben dem Telefon aktiv als Draht zu den Bürgern nutzen.“ jd

Die höchste Abwanderungsrate
Nr. 66: Elbe-Elster - Oberspreewald-Lausitz II

Ein Viertel der Bewohner ist seit 1990 abgewandert. Der Wahlkreis, in dem sich André Brie (Die Linke) um ein Direktmandat für den Bundestag bewirbt, hat die höchste Fortzugsrate in Deutschland. Bis 2030 wird ein weiteres Viertel der Bevölkerung gegangen sein – „wenn wir keine Fördermittel vom Bund und vom Land bekommen“, sagt Brie. Früher gab es Arbeit in der Braunkohle. Jetzt ist die Region auch von Überalterung betroffen. Brie will die Nähe zu Polen nutzen und die einstige Randgebietslage zum Vorteil ummünzen. Und er will mehr für die Bildung tun. Lehrstellen seien unbesetzt. „Manche Betriebe stellen lieber Leute ein, die in der Region Wohneigentum besitzen, damit die Mitarbeiter nicht gleich wieder davonlaufen können.“ rro

Der höchste Altersdurchschnitt
Nr. 163: Chemnitz

Direktkandidat Frank Heinrich (CDU) weiß es schon lange: Der Altersdurchschnitt im Wahlkreis Chemnitz ist besonders hoch. Fast ein Drittel (32,7 Prozent) der Bevölkerung ist über 60 Jahre alt. Das ist Bundesrekord. Heinrich setzt gerade deshalb auf Jugendarbeit – zumal er festgestellt hat, dass auch die Älteren das Problem der fehlenden Perspektiven für die Jugend am meisten beschäftigt. Bei der vergangenen Bundestagswahl lagen CDU, Linke und SPD sehr eng beieinander. Damals errang Detlef Müller (SPD) das Direktmandat, der auch diesmal wieder antritt. „Wir haben eine hervorragende Universität, aber viele gehen dorthin, wo Arbeit besser bezahlt wird“, beklagt Müller. „Deswegen wollen wir Mindestlöhne durchsetzen. Die Leute bleiben leider nicht wegen dem schönen Erzgebirge.“ rro

Die meisten Insolvenzen
Nr. 153 und 154: Leipzig I und Leipzig II

An keinem Ort wurden in der Vergangenheit so viele Insolvenzen angemeldet wie in Leipzig. 2007 kamen in den beiden Wahlkreisen der sächsischen Stadt 4,5 Anträge auf 1000 Einwohner. Die Stadt habe ihre Rückstände nach der Wende noch nicht vollständig aufgeholt, erklärt Bettina Kudla, Direktkandidatin der CDU im Wahlkreis Leipzig I. „Wir müssen die mittelständischen Betriebe entlasten“, fordert sie. 2005 unterlag Kudlas Vorgänger noch einem SPD-Kandidaten. Mit Steuersenkungsversprechen will Kudla nun gegen Insolvenzen und ihre Hauptwidersacherin Daniela Kolbe von der SPD kämpfen. iseh

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