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Schlimmer als Schwarz-Gelb?: Holpriger Start der Großen Koalition

Ein Monat im Amt und nur Zoff – die Bilder vom Anfang ähneln sich. Ist der Start der Großen Koalition mit Schwarz-Gelb vergleichbar?

Von Antje Sirleschtov

An 15. Januar 2010, also vor genau vier Jahren, hatte Schwarz-Gelb sein Meseberg bereits einige Wochen hinter sich. In Meseberg, diesem brandenburger Schloss, das der Bundesregierung als Tagungs- und Gästehaus zur Verfügung steht, werden sich kommenden Mittwoch und Donnerstag die Minister von Union und SPD treffen, um Pläne zu besprechen und vor allem: Um den Streit in der großen Koalition, der seit Wochen nicht enden will, zu beenden.

Ein Ort der Befriedung koalitionärer Anfangstreitigkeiten war Meseberg auch vor vier Jahren schon. Damals, 2010, regierten Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU) mit dem FDP-Chef Guido Westerwelle in einer „bürgerlichen Wunschkoalition“. Wobei der Wunsch miteinander zu regieren wohl nur bis zum Wahlabend im September 2009 gereicht hat. Schon während der Koalitionsverhandlungen war er merklich erkaltet, die Partner voneinander erschrocken und zum Teil sogar abgestoßen. Krach und Streit gab es dann beinahe vom ersten Regierungstag an. Mitte November traf man sich zum ersten Mal in Meseberg. Am 17. Januar 2010 gab es schon das zweite Spitzentreffen, bei dem zum ersten Mal vom notwendigen „Neustart“ die Rede war. Anfang März dann folgte ein Weiteres. Inzwischen war der Streit zwischen Union und FDP offen eskaliert, Liberale witterten mutwilligen Verrat an ihren Leuten. Ein schier endloses Spektakel der Unfähigkeit eines Miteinander, das den Ruf dieser Koalition bis in die Gegenwart hinein in Misskredit brachte und für die FDP sogar zum Anfang ihres bundespolitischen Desasters wurde.

Auch über die Koalition von Union und SPD heißt es, sie streite vom ersten Regierungstag an. Erst die PKW-Maut, dann legt SPD-Justizminister Heiko Maas die Vorratsdatenspeicherung auf Eis, schließlich wird SPD-Familienministerin Manuela Schwesig in ihren familienpolitischen Visionen von der steuerfinanzierten 32-Stunden-Arbeitswoche für Eltern von der Union gestoppt. Wiederholt sich jetzt, was Union und FDP dem zürnenden Publikum bis ins Frühjahr 2010 hinein geboten haben? Heftiger Streit, Maßhalteparolen, Aufforderung zum „Klartext reden“, Krisentreffen mit „Neustart“- Charakter; und dann ging alles doch wieder von vorne los.

Zwischen der Situation von damals und heute gibt es allerdings kaum wirkliche Parallelen. Allein die Verhandlungen zum Koalitionsvertrag: In rasender Eile galoppierten Westerwelle, Seehofer und Merkel im Herbst 2009 durch die Regierungsthemen. Nur drei Wochen benötigten sie, um Kompromisse zu finden. Allerdings stellte sich schon kurz danach heraus, dass man die politischen Ziele des jeweils anderen in den Verhandlungen entweder nicht ernst genommen oder schlichtweg ignoriert hatte. Die Kompromisse blieben unernst. Weil Merkel, Seehofer und Westerwelle stillschweigend die Fehleinschätzung teilten, gemeinsame politische Werte führen unweigerlich zu gleichen Politikansätzen, wurden unterschiedliche Ansichten in Formeln verpackt, statt sie auszudiskutieren. Prominentestes Thema: Die grundlegende Steuerreform mit einem jährlichen Entlastungsvolumen von 24 Milliarden Euro. Für die FDP stand dieses gemeinsame Ziel der schwarz-gelben Koalition im Vertrag, für die Union hatte das Thema Steuerreform eine ganz andere Bedeutung. Sie wollte zwar hier und dort Steuern senken, was ja im Wachstumsgesetz vom November 2009 auch geschehen ist. Einen „Politikwechsel“ insbesondere in der Steuerpolitik, aber eigentlich in beinahe allen Bereichen der Politik, wie ihn die FDP vorhatte, den wollte die Union aber nicht.

Ganz anders sieht es jetzt, vier Jahre später aus. Als sich der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel mit Merkel und Seehofer auf einen Plan für die Koalitionsgespräche verständigt hat, haben all drei ihre Schlüsse aus den Ereignissen von 2009 gezogen und sich lieber für ihr langes Verhandeln kritisieren lassen, als dass sie übereilt einen Vertrag mit unechten Kompromissen unterschreiben, die später, im Regierungsgeschäft, nur schwer zu finden sind und leicht zu Machtfragen anwachsen.

Und so reihen sich auch die ersten Streitthemen von Schwarz-Rot ein. Weder der Justizminister noch Sozialministerin Andrea Nahles (SPD), die höhere Steuerzuschüsse ab 2018 für die Finanzierung der schwarz-roten Rentenpläne ins Gespräch gebracht hat, haben sich vom gemeinsamen Koalitionsplan verabschiedet oder gar ihn uminterpretiert. Anders als beim Steuerstreit von Schwarz-Gelb gibt es also keinen grundlegenden Unterschied in den Zielen. Beispiel Nahles: Alle drei Partner haben die Änderungen im Rentenbereich vereinbart und stehen dazu. Und alle drei Partner wussten bereits in den Koalitionsgesprächen, dass die finanziellen Reserven in der Rentenkasse nicht ewig ausreichen werden und mit fortschreitender demografischer Entwicklung die Notwendigkeit der höheren Steuerfinanzierung auf die Politik zukommen wird. Und auch Heiko Maas will die Vorratsdatenspeicherung nur bis zur nahen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes verschieben. Sein Terminus „auf Eis legen“ mag zwar zunächst konfrontativ nach Abschied von dem Gesetz geklungen haben, weshalb die Union auch zunächst bitter reagiert und Unions-Fraktionschef Volker Kauder um bessere Kommunikation gebeten hatte. Im Kern allerdings – und das ist anders als etwa im Steuerstreit von Union und FDP vor vier Jahren – sind sich Union und SPD einig.

Entscheidend für die weitere Entwicklung des Klimas in der Koalition werden natürlich neben den äußeren Bedingungen, also etwa der Wirtschafts- und Haushaltsentwicklung, auch Stimmung und die mittelfristigen Ziele insbesondere der SPD sein. Auch hier scheint ein wichtiger Unterschied zu Schwarz-Gelb zu liegen. Die Westerwelle FDP hatte zwar nach den Koalitionsgesprächen das Gefühl von „Sieg auf der ganzen Linie“ verbreitet, sich aber gleich danach und dann für lange Zeit in eine Profilierungsneurose hineinbegeben, in einen ständigen Kampf um Anerkennung. Sigmar Gabriels SPD indes hat Koalitions- und Regierungsbildung als Gewinner verlassen, was ihr ein Gefühl von Augenhöhe mit der Union gibt, das ihr beim Blick auf das Wahlergebnis gar nicht zusteht. Aber so ist es manchmal: Das Klima des Zusammenlebens hat weniger mit Tatsachen als mit Gefühlen zu tun.

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