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Politik: „Ich sage nichts“

Merkel bleibt vor den CDU-Arbeitnehmern zurückhaltend / Rüttgers verlangt soziale Reformen

Der Kameramann zeigt erhebliches politisches Gespür. Noch bevor Jürgen Rüttgers seinen Satz zu Ende gesprochen hat, nimmt er Michael Sommer ins Visier und zeigt ihn auf der Großleinwand hinter dem Redner. Der frisch gekürte nordrhein-westfälische Ministerpräsident hatte soeben davon gesprochen, dass die Politik in der Republik wieder verlässlich werden müsse und dass zur Marktwirtschaft die soziale Ordnung gehöre, da klatscht der DGB-Chef mächtig die Hände. Nach Rüttgers sprach der Gewerkschaftsboss zu den Vertretern der Christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) in der Godesberger Stadthalle. „Ich will ausdrücklich sagen“, ruft er aus und schaut zu Rüttgers, „dass ich vieles teile, was Sie gesagt haben.“ An dieser Stelle zeigt die Leinwand Rüttgers, der entspannt lächelt.

In der Tat hatte der neue Düsseldorfer Ministerpräsident sein Grußwort zu einer Positionsbestimmung in Sachen sozialer Gerechtigkeit genutzt. Bevor er dazu kommt, geißelt er vor allem jene, die einer höheren Mehrwertsteuer das Wort reden. „Ich hätte schon gerne, dass nicht jeder Einzelvorschläge vorträgt, die nach zwei Tagen wieder eingesammelt werden, weil sie nicht zusammenpassen.“ Dann verspricht er, Nordrhein-Westfalen – „nicht von jetzt auf gleich, aber mit Perspektive“ – zur Nummer eins in Deutschland zu machen, um dann genau das zu sagen, was die 400 Delegierten von der Parteispitze erwarten. Er spricht ausdrücklich das Ahlener Programm der CDU aus den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts an und verlangt, dass bei allen notwendigen Reformen eines nicht vergessen wird: „Dass sozial nicht nach Gutsherrenart gestaltet werden kann.“ Mit solchen Passagen sichert er sich den Applaus der CDA-Vertreter. Dass er bei betrieblichen Bündnissen und beim Kündigungsschutz weiter gehen möchte, als viele von ihnen, vergessen sie in solchen Momenten.

Nach Sommer tritt Angela Merkel auf. Auf dem Weg zur Bühne schüttelt sie viele Hände; der Saal wird darauf eingestimmt, dass diese Republik demnächst eine Kanzlerin habe, die selbst der Arbeitnehmergruppe der CDU im Bundestag angehört. Der freundliche Empfang beflügelt sie freilich nicht. „Ich bin gerne gekommen, eine Rede zu sprechen“, verhaspelt sie den Einstieg und kann auch später Zeichen von Unkonzentriertheit nicht verbergen.

Während Rüttgers den sozialen Ausgleich anmahnt und sie natürlich die Nachrichten von Roland Koch kennt, der drastische Einschnitte bei der Arbeitsmarktpolitik verlangt, scheint sie ihren roten Faden nicht zu finden. Ihre Analyse ist zwar zutreffend – „Die Formel: Geht es meinem Betrieb gut, geht es mir auch gut, scheint nicht mehr zu stimmen“ –, aber ihr Rezept dagegen verrät sie nicht. „Ich sage vor dem 11. Juli nichts“, wiederholt sie an mehreren Stellen, die Delegierten müssen sich dafür mit Sätzen wie „ohne Zukunft dieses Landes wird alles ziemlich trostlos sein“ begnügen. Am Ende bleibt der Beifall eher matt; der Tagungspräsident ist einer der wenigen im Saal, der bemerkt haben will, dass der Funke übergesprungen ist.

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