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Im BLICK: Absolut oder relativ

Es war zu erwarten: Kaum hat die Bundesregierung ihre Mehrheit in der Länderkammer verloren, beginnt die Debatte über den angeblichen Störenfried namens Bundesrat. Was am Ende von Rot-Grün etwa Sigmar Gabriel beklagte (als die SPD auch keine Mehrheit im Bundesrat mehr hatte), gilt nun für die andere Seite.

Es war zu erwarten: Kaum hat die Bundesregierung ihre Mehrheit in der Länderkammer verloren, beginnt die Debatte über den angeblichen Störenfried namens Bundesrat. Was am Ende von Rot-Grün etwa Sigmar Gabriel beklagte (als die SPD auch keine Mehrheit im Bundesrat mehr hatte), gilt nun für die andere Seite. Zwar gibt es noch keine Stimme von prominenten Aktiven aus dem schwarz- gelben Lager, aber Altpräsident Roman Herzog hat schon zu Protokoll gegeben, was im politischen Berlin immer wieder mal als Forderung zu hören ist: dass der Abstimmungsmodus im Bundesrat geändert werden muss. Denn im Fünfparteiensystem, so nicht nur die Analyse von Herzog, werde die Koalitionsvielfalt in den Ländern zunehmen. Und der Bundesrat dadurch weniger berechenbar (und weniger mehrheitsfähig aus Sicht der Bundesregierung).

Freilich galt das auch zu Zeiten des schwarz-gelb-roten Zweieinhalbparteiensystems schon. In nahezu der Hälfte der gut 60 Jahre bundesrepublikanischer Geschichte hatten die jeweiligen Bundesregierungen nämlich keine eigene sichere Mehrheit in der Länderkammer. Unregierbar wurde Deutschland dadurch nicht. Warum soll es künftig anders sein?

Was die Kritiker stört, ist die Tatsache, dass es im Bundesrat durch die bunten Koalitionsverhältnisse immer mehr Länder gibt, die im „neutralen“ Lager sind, also aus Parteien bestehen, von denen eine im Regierungslager auf Bundesebene steht, die andere im Oppositionslager. In allen Koalitionsverträgen in den Ländern vereinbaren die Partner, sich bei gegensätzlichen Meinungen zu einem Thema im Bundesrat der Stimme zu enthalten. Was eigentlich gar nicht geht. Denn im Bundesrat wird nur „positiv“ gefragt – bei Zustimmungsgesetzen danach, wer zustimmt, bei Einspruchgesetzen danach, wer für eine Anrufung der Vermittlung ist. Wer dagegen ist oder sich enthalten will, wird gar nicht abgefragt. Denn nach dem Grundgesetz ist die Mehrheit aller Länder entscheidend. Weitere Fragen sind daher überflüssig. Entweder es gibt eine Mehrheit – oder es gibt sie nicht.

Nach Ansicht der Kritiker soll künftig auch eine relative Mehrheit genügen. Es würde also auch gefragt, wer dagegen stimmt und wer sich enthält. Enthaltungen würden quasi vom Ergebnis abgezogen. Das hieße für den gegenwärtigen Bundesrat nach der NRW-Wahl: Schwarz- Gelb hätte eine Mehrheit von 31 Stimmen, weil das Oppositionslager – also alle Landesregierungen mit SPD, Grünen und Linken – nur 21 Stimmen hat (NRW schon mal inklusive). Das „neutrale“ Lager, also die Länder, die sich enthalten würden, hat derzeit 17 Stimmen. Ob die SPD wohl derzeit eine solche Änderung mitmachen würde?

Doch ganz abgesehen davon: Käme diese Änderung des Abstimmungsmodus durch – die Parteien in den Ländern würden schnell dazu übergehen, bei Gegensätzen statt einer Enthaltung im Bundesrat ein Nein zu vereinbaren. Denn keine „neutrale“ Landesregierung würde sich ihr Stimmrecht durch eine relative Mehrheitsregel nehmen lassen. Damit wäre man nämlich im föderalen Verhandlungssystem quasi außen vor. Und das will und kann sich keiner leisten.

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