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Im Wahlkampf gelandet: Erste Flüchtlinge aus Syrien in Deutschland angekommen

Die ersten Flüchtlinge aus Syrien sind in Hannover gelandet. Die Parteien streiten nun um die Höhe der Kontingente. Die Debatte nimmt die Form eines Wettbewerbs ums Humane an.

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Die neue Heimat ist für sie bereits die zweite Zuflucht – die 107 syrischen Flüchtlinge, die eine Sondermaschine am Mittwoch nach Deutschland brachte, waren vor dem Krieg in ihrer Heimat vorher schon in den Libanon geflüchtet. Mehr als 700 000 Menschen hat das Nachbarland am Mittelmeer wohl oder übel bisher aufgenommen, für 5000 von ihnen will Deutschland seine Grenzen öffnen. Und weil das erste Kontingent mitten im Wahlkampf in Hannover landet, wird ihr Schicksal auch zum Thema im Parteienstreit.

Allerdings will sich ersichtlich niemand dem Verdacht aussetzen, Wahlkampf auf dem Rücken verletzter, verstörter, traumatisierter Menschen zu führen. Die Debatte nimmt deshalb die Form eines Wettbewerbs ums Humane an: Die Opposition fordert mehr Großzügigkeit, die Regierenden nehmen in Anspruch, schon ungewöhnlich großzügig zu sein.

Am weitesten geht Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin: Nicht 5000, sondern 50 000 Flüchtlinge müsse das reiche Deutschland aufnehmen, und das könne nur der erste Schritt sein. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück legt sich auf Zahlen nicht fest, nennt es aber ebenfalls „dringend notwendig, dass mehr Flüchtlinge – vor allem im Rahmen der Familienzusammenführung – zu uns kommen“.

Willkommen. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU, 4. v. l) und Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD, 2. v. l) sowie Doris Schröder-Köpf (SPD, 3. v. l) als Migrationsbeauftragte des Landes Niedersachsen begrüßen am Mittwoch Flüchtlinge aus Syrien am Flughafen Hannover.
Willkommen. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU, 4. v. l) und Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD, 2. v. l) sowie Doris Schröder-Köpf (SPD, 3. v. l) als Migrationsbeauftragte des Landes Niedersachsen begrüßen am Mittwoch Flüchtlinge aus Syrien am Flughafen Hannover.

© dpa

Im Prinzip sprechen sich auch Unionspolitiker nicht dagegen aus. Wenn Bundesländer über das Kontingent hinaus Flüchtlinge aufnehmen wollten, sagt etwa der Vorsitzende des Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), dann sei das zu begrüßen. Der CDU-Politiker verwahrt sich aber gegen den von der Opposition erweckten „Eindruck (…) als würde Deutschland seinen humanitären Verpflichtungen nicht gerecht“. Die Bundesrepublik leiste erheblich mehr Hilfe als andere europäische Partner. Auch Regierungssprecher Steffen Seibert betont, seit 2011 hätten mehr als 18 000 syrische Flüchtlinge hierzulande Asyl erhalten, dazu kämen etwa 350 Millionen Euro für die direkte Hilfe in den Nachbarländern in der Region.

Die Hilfs- und Flüchtlingsorganisationen begrüßen die Aufnahme der 5000 Syrer übereinstimmend als „humanitäre Geste“. Sie betonen aber mit fast noch größerem Nachdruck, dass die Bundesrepublik angesichts der dramatischen Lage und des Leids im Bürgerkriegsland sehr viel mehr Menschen Zuflucht bieten könne und müsse. Während des Bosnienkriegs sei hierzulande für 300 000 Schutzbedürftige Platz gewesen, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Pro Asyl und dem Flüchtlingsrat Niedersachsen. Damals habe man die Einreisebedingungen vergleichsweise großzügig gestaltet. Daran sollte man sich jetzt orientieren.

Auch Amnesty International lobt die Aufnahme der Flüchtlinge in Deutschland als „Akt der Solidarität“. Allerdings sei dies nur ein erster Schritt – ebenso wie die Ankündigung einiger Bundesländer, die Regelungen zum Familiennachzug zu lockern. Denn nach Überzeugung der Asylexpertin Franziska Vilmar ist über Deutschlands Grenzen hinaus deutlich mehr Engagement vonnöten, um aus Syrien vertriebenen Frauen, Männern und Kindern Schutz zu bieten. „Es kann nicht sein, dass ein kleines Land wie der Libanon mit 4,3 Millionen Einwohnern allein für mehr als 700 000 Flüchtlinge zuständig ist“, sagt sie und fordert deshalb eine europäische Lösung. Dazu gehöre, dass andere Staaten endlich ihre Grenzen öffnen und in deutlich höherem Umfang als bisher Syrer aufnehmen.

Pro Asyl sieht dabei nicht zuletzt den Bundesinnenminister in der Pflicht. Friedrich sollte die Initiative für ein „wirklich großzügiges“ EU-Programm ergreifen, um Menschen aktiv aus der Region zu holen. Das wäre wohl ganz im Sinne von António Guterres. Der Flüchtlingshochkommissar der Vereinten Nationen hatte vor kurzem gefordert, Europa solle unbegrenzt Syrer aufnehmen.

Beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) setzt man zwar bei der Aufnahme von weiteren syrischen Flüchtlingen ebenfalls auf einen „europäischen Rahmen“. Doch bei seiner täglichen Arbeit sieht die Organisation einen wichtigen Schwerpunkt in der Hilfe an Ort und Stelle. „Das DRK unterstützt die notleidende Bevölkerung in Syrien direkt und die Flüchtlinge in den Nachbarländern zum Beispiel mit Lebensmittel- und Hygeniepaketen“, sagt Präsident Rudolf Seiters. Das hat einen einfachen wie erschreckenden Grund. „Wir gehen davon aus, dass im Land selbst inzwischen bis zu sieben Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sind.“

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