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Politik: Immigrations-Debatte: Gute Inder, schlechte Inder - Die CDU verabschiedet sich von einem Dogma - und Otto Schily errichtet ein neues (Kommentar)

Es gibt politische Felder, in denen folgt gesetzmäßig auf jeden Fortschritt ein Rückschritt. Im Nahen Osten zum Beispiel gehorcht der Friedensprozess dieser Logik.

Es gibt politische Felder, in denen folgt gesetzmäßig auf jeden Fortschritt ein Rückschritt. Im Nahen Osten zum Beispiel gehorcht der Friedensprozess dieser Logik. Interessen, historisch gewachsene Ängste und Lebenslügen bilden ein so komplexes Knäuel, dass auf jeden Schritt nach vorn einer zur Seite und ein halber zurück folgt.

Der Nahe Osten der deutschen Politik heißt: Einwanderung. Jahrzehntelang behauptete die Union, Deutschland sei kein Einwanderungsland - obwohl fast jedem deutschen Großstadtbewohner ein Blick aus dem Fenster genügte, um sich von dem Gegenteil zu überzeugen. Doch für die Union war dieser Satz der Kitt zwischen ihrer politischen Praxis und ihrem Selbstverständnis. Denn es war die Union, die in den 60ern die Migranten ins Land geholt hatte. Und unter der Kohl-Regierung verdoppelte sich die Zahl der Ausländer hier zu Lande auf 7,3 Millionen. Doch weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte, behauptete die Union: Deutschland ist kein Einwanderungsland.

Jetzt beginnt die Union damit, den Südlibanon zu räumen. Der Satz, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, soll nicht mehr gelten. Das ist möglich, weil die Union nicht mehr regieren muss. Und es ist möglich, weil mit dem Computer-Inder ein neues Geschöpf die medialen Bühnen betreten hat: der gute Ausländer, der, den wir brauchen. Denn bislang traten Ausländer aller Multikulti-Folklore zum Trotz, meist in Verbindung mit -Kriminalität und -Problem auf.

Nun will sich die Union von ihrem Glaubenssatz verabschieden - aber ihre Ausländerpolitik soll sich nicht ändern. Bewegungslogik Nahost: Einerseits weiß die Union, dass Leugnen nicht mehr hilft - andererseits hat sie ihren Wahlsieg in Hessen ausgerechnet mit der Kampagne gegen den Doppelpass eingefahren. Die Union ist eingeklemmt zwischen zwei Wahrheiten, die sich ausschließen: Deutschland braucht zukünftig, schon demographisch, mehr Einwanderung. Und: Mit Anti-Einwanderungs-Propaganda gewinnt die Union Wahlen. Deshalb reagiert die CDU so unsouverän auf Schilys Angebot an Süssmuth, die Einwanderungs-Kommission zu leiten.

Ist also alles verloren für die Union? Nicht ganz. Denn sie hat einen starken Verbündeten, gegen den das Cross-over mit Süssmuth nichts ist: Otto Schily. Denn der SPD-Innenminister vertritt, vage im Detail, zielstrebig in der Richtung, die neue CDU-Linie. Er will mehr qualifizierte Einwanderer und weniger Asylbewerber. Gute Ausländer rein, schlechte raus. Das geht nur, wenn man das Asylrecht als Individualrecht abschafft. Denn Deutschland hat sonst schon alles getan, um Asylbewerber abzuschrecken. Sachlich gerechtfertigt ist der Konnex zwischen Asyl und Einwanderung nicht. Seit 1993 sinkt die Zahl der Asylbewerber - von mehr als 400 000 jährlich auf weniger als 100 000.

Immerhin: Wo früher ideologische Schlachten ausgetragen wurden, soll es nun sachlicher zugehen. Doch der neue Schily-Kurs, die Ökonomisierung der Einwanderung, ist nicht nur pragmatisch, sondern auch kaltherzig. Das ist der Rückschritt im Fortschritt: Schüsse auf den Golanhöhen.

Stefan Reinecke

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