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Die europäische Arzneitmittel-Agentur EMA empfiehlt die Corona-Impfung für Jugendliche.

© Getty Images/iStockphoto

Impfexpertin Gudrun Widders: „Die Stiko ist nicht grundsätzlich gegen die Impfung von Jugendlichen“

Gudrun Widders, Mitglied der Ständigen Impfkommission, über ihre Arbeit in der Stiko und die Frage, ob sie ihre eigenen Kinder impfen lassen würde.

Frau Widders, warum kann sich die STIKO kann bislang nicht zu einer Impfempfehlung für Minderjährige durchringen?
Es liegen einfach noch nicht genügend Daten vor, damit die STIKO ihre bisherigen Impfenpfehlungen für Kinder und Jugendliche ändern kann. Sie prüft bei neuen Impfstoffen nicht nur die Impfeffektivität, sondern auch, wie sicher sie sind. Diese Frage kann noch nicht abschließend beantwortet werden, da noch Studienergebnisse ausstehen.

Die Gesundheitsminister wollen schon jetzt mit der Impfung von Jugendlichen beginnen. Was halten Sie davon, dass sich die Politik einfach über Ihr Expertengremium hinwegsetzt?
Als Leiterin eines Gesundheitsamts kann ich den Konflikt zwischen Politik und Wissenschaft nachvollziehen. Ich sehe ja auch, dass Kinder und Jugendliche Covid-19 übertragen können, etwa an Erwachsene mit Vorerkrankungen. Die Politik steht unter Druck und muss schnelle Entscheidungen treffen - auch angesichts der steigenden Fallzahlen. Die STIKO arbeitet hingegen evidenzbasiert, das heißt auf der Grundlage von wissenschaftlichen Belegen. Deshalb kann sie gegenwärtig nicht so schnell reagieren, wie es die Pandemie erfordert, die geprägt ist von sich ständig verändernden Situationen.

Wann werden Sie die nötigen Daten zur Verfügung haben?
Das lässt sich schwer abschätzen. Die STIKO reagiert ad-hoc, sobald neue Daten vorliegen. Das nächste Treffen findet voraussichtlich Ende dieser Woche statt. Es bleibt noch abzuwarten, ob dann eine Änderung der Empfehlungen für die Impfung von Jugendlichen resultiert.

Wie soll man denn der STIKO noch vertrauen, wenn sich selbst die Politik offenbar nicht mehr auf Ihren Rat verlassen will?
Ich sehe das Vertrauen in die STIKO nicht erschüttert - im Gegenteil. Sie stellt doch gerade jetzt unter Beweis, dass sie sich nicht unter Druck setzen lässt, sondern allein nach wissenschaftlichen Maßstäben entscheidet. Ich möchte aber auch betonen, dass die STIKO nicht grundsätzlich gegen die Impfung von Kindern und Jugendlichen ist. Für diejenigen mit schwerwiegenden Vorerkrankungen empfiehlt sie die Impfung seit der Zulassung des Impfstoffes für diese Altersgruppen. Auch wenn Eltern gerne wollen, dass ihre Kinder geimpft werden, ist das nach umfassender Aufklärung und Beratung grundsätzlich möglich. Auch das steht seitdem in den Empfehlungen der STIKO. Wenn etwa Angehörige oder andere Personen im sozialen Umfeld zu einer Risikogruppe gehören, ist es durchaus sinnvoll, die Kinder impfen zu lassen.

Gudrun Widders leitet das Gesundheitsamt Spandau in Berlin und ist seit 2017 Mitglied der Ständigen Impfkommission des Robert Koch-Instituts.
Gudrun Widders leitet das Gesundheitsamt Spandau in Berlin und ist seit 2017 Mitglied der Ständigen Impfkommission des Robert Koch-Instituts.

© RKI

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In einzelnen Fällen sind in der Vergangenheit bei jungen Menschen nach einer Impfung Herzmuskelentzündungen aufgetreten. Wie hoch ist das Risiko einer Impfung bei Jugendlichen?
Das Risiko besteht tatsächlich und es ist abzuschätzen, wie hoch es ist. Wir wissen aber auch, dass eine Herzmuskelentzündung als Komplikation einer Covid-19-Erkrankung auftreten kann. Bislang ist zu prüfen, ob die vorliegenden Daten die Frage beantworten können, welches Risiko höher ist: die Herzmuskelentzündung als Folge der Impfung - oder als Folge einer Corona-Infektion.

Warum hält die Stiko Covid-19 bei Kindern für vergleichsweise harmlos, obwohl wir über die Langzeitfolgen noch gar nichts wissen können?
Die Infektion verläuft bei den meisten Kindern symptomfrei oder sehr milde. Aus diesem Grund stellt sich die ethische Frage, ob ihnen dann eine Impfung mit möglichen Nebenwirkungen zugemutet werden darf. Über Langzeitfolgen der Covid-19-Erkrankung bei Kindern und über Komplikationen aufgrund der Infektion kann es noch keine abschließenden Daten geben. Allerdings übertragen Kinder das Virus nicht nur untereinander, sondern kann mit jeder Übertragung eine Infektionsdynamik in Gang gesetzt werden, die nicht mehr gesteuert werden kann. Sie trifft dann möglicherweise Personen mit besonderen Risiken. Das ist der Konflikt.

Welche Rolle spielt die Delta-Variante beim Infektionsgeschehen für Kinder?
Die Delta-Variante überträgt sich auch bei Kindern wesentlich leichter als etwa die Alpha-Variante oder der Wildtyp des Virus. Aber mit Blick auf die Auslastung und Belegung der Krankenhäuser sehen wir, dass die Delta-Variante nicht kranker macht als andere Varianten. Das gilt für Kinder wie Erwachsene gleichermaßen.

Würden Sie denn Ihr eigenes Kind impfen lassen?
Ja, meine Kinder sind allerdings schon erwachsen. Mein Enkelkind ist noch nicht 12 Jahre alt. Ich würde aber meiner Tochter empfehlen, es dann impfen zu lassen. Ich sehe nicht nur den Individualschutz, sondern auch den Effekt auf den Verlauf der Pandemie, wenn sich möglichst viele Menschen für die Impfung entscheiden.

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