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Die Grünen-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, Sylvia Löhrmann, bei einem Wahlkampfauftritt mit Parteichef Cem Özdemir (links)

© dpa/Oliver Berg

Landtagswahl NRW: In den Abgrund geschaut

Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen haben die Grünen ihr Ergebnis beinahe halbiert. Der Landesverband brauche nun einen "Neuanfang", sagt Parteichef Cem Özdemir.

Grünen-Chef Cem Özdemir versucht gar nicht erst, die Lage schön zu reden. „Wir haben die Wahl verloren“, sagt er in der Parteizentrale nach den ersten Prognosen. Die sehen die Grünen mit rund sechs Prozent zwar immerhin im Landtag in Nordrhein-Westfalen. „Viel mehr Positives“ gebe es aber auch nicht zu berichten, sagt Özdemir. Die rot- grüne Landesregierung sei „in Gänze“ abgewählt worden. Der Landesverband brauche nun einen „Neuanfang“.

Die Grünen haben ihr Ergebnis beinahe halbiert

Bei der letzten Landtagswahl hatten die Grünen noch 11,3 Prozent erreicht. Das war 2012 – ein Jahr, nachdem Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg zum ersten grünen Ministerpräsidenten gewählt worden war. Fünf Jahre später ist der Höhenflug nun vorbei. Im Vergleich zu damals haben die Grünen in NRW ihr Ergebnis fast halbiert.

Anfang des Jahres waren die Umfragewerte noch zweistellig

Dabei hatten sie Anfang des Jahres in den Umfragen noch zweistellige Werte erzielt. Als diese auf sechs Prozent absackten, waren die NRW-Grünen alarmiert. Es könne auch unter fünf Prozent gehen, warnte Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann vor einigen Wochen in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz. In der Schlussphase des Wahlkampfs versuchten die Grünen vor allem zu erklären, was ohne sie im Landtag fehlen würde. Ein „Weckruf“, der zumindest die Kernwähler mobilisiert hat. Ohne diesen hätte das Ergebnis noch anders aussehen können, glaubt Bundesgeschäftsführer Michael Kellner.

Für das schlechte Abschneiden gibt es bei den Grünen verschiedene Erklärungsversuche. Manch einer findet, der Landesverband habe sich nicht genügend vom Koalitionspartner abgesetzt. Das liege auch an der stellvertretenden Ministerpräsidentin Sylvia Löhrmann, die Wert auf ein harmonisches Verhältnis zu ihrer SPD-Kollegin Hannelore Kraft gelegt habe. Es habe zu wenig Punkte gegeben, an denen sie kontrollierte Konflikte eingegangen sei. Für die Wähler sei dadurch zu wenig erkennbar gewesen, wofür die Grünen eigentlich stehen.

Erschwerend kam hinzu, dass den Grünen im Wahlkampf allmählich jede Machtperspektive abhanden kam. Angesichts der schwachen Umfragewerte schien eine Fortsetzung von Rot-Grün schon Wochen vor der Wahl nicht mehr realistisch. Eine Ampel mit SPD und Grünen hatte FDP-Chef Christian Lindner ausgeschlossen, ein Jamaika-Bündnis mit CDU und FDP wiederum wollten die Grünen auf keinen Fall mitmachen.

Die Niederlage hat auch mit der Bildungspolitik zu tun

Nach Ansicht von Parteichef Özdemir hat das Ergebnis aber auch etwas mit der Bildungspolitik zu tun – also mit dem Ressort, das Löhrmann zu verantworten hat. Anfangs konnte Löhrmann noch auf ihren guten Ruf als Schulpolitikerin bauen. Doch im Wahlkampf richteten sich die Angriffe der Opposition gegen ihr Vorhaben, durch Inklusion den gemeinsamen Unterricht von Schülern mit und ohne Behinderung in den Schulen durchzusetzen. Mit dem Hinweis, in ihrer Amtszeit seien so viele Lehrer wie lange nicht mehr eingestellt worden, drang Löhrmann nicht mehr durch. Offenbar sei es nicht gelungen, Mehrheiten für diese Politik zu organisieren, sagte Özdemir. Bei solchen Reformen müsse man darauf achten, die Eltern mitzunehmen. Löhrmann sagte am Wahlabend, sie übernehme ihren Anteil an der Niederlage und wolle daher kein Amt in der Fraktion oder Partei mehr übernehmen.

In seiner ersten Wahlanalyse gab Özdemir allerdings auch zu, dass es bei der NRW-Wahl „sicherlich keinen Rückenwind“ von den Grünen im Bund gegeben habe. Für die Bundestagswahl im September hat die Grünen-Führung die Devise ausgegeben, mit einem zweistelligen Ergebnis als drittstärkste Kraft ins Parlament einziehen zu wollen. Doch der Start ins Wahljahr verlief nicht gut, im Bund gingen die Umfragewerte ebenfalls auf sechs bis acht Prozent zurück. Auch die Urwahl der beiden Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir im Januar brachte nicht den erhofften Schub. Von dieser negativen Stimmung blieben auch die Wahlkämpfer an Rhein und Ruhr nicht verschont.

Grüne im Bund wollen ihr inhaltliches Profil schärfen

Das schlechte Abschneiden bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen macht es nun wiederum für die Grünen im Bund nicht einfacher, in den bevorstehenden Wahlkampf zu starten. „Natürlich ist die Ausgangslage jetzt schlechter“, sagt der Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Anton Hofreiter. Doch bis zur Bundestagswahl seien es noch fünf Monate hin. „Wenn wir mit einem klaren inhaltlichen Profil agieren, ist noch alles drin“, sagt Hofreiter. Auch Bundesgeschäftsführer Kellner zieht aus der Wahl die Lehre, dass die Grünen „kämpferisch und klar“ sagen müssten, wofür sie stehen – von den Umweltfragen bis zur Gerechtigkeit. Und Parteichef Özdemir will gemeinsam mit Göring-Eckardt am „Kurs der Eigenständigkeit“ festhalten, sich also nicht auf mögliche Koalitionspartner festlegen lassen.

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