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An der polnisch-belarusischen Grenze: Ein Flüchtling versucht, einen Stacheldrahtzaun Richtung Polen zu überwinden.

© imago images/SNA

In der flüchtlingspolitischen Sackgasse: Die EU muss sich schleunigst selbst aus der Zwangslage befreien

Seit ihrem Flüchtlings-Abkommen mit der Türkei ist die EU erpressbar. Das ist erbärmlich. Sie muss ihr Asylsystem reformieren. Ein Gastbeitrag.

Olaf Kleist ist Co-Leiter der Fachgruppe „Demokratie, Transfer und Politikberatung“ des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM). Daniel Bax ist Pressesprecher des DeZIM.

Die autokratische Regierung von Belarus hat ihre Skrupellosigkeit immer wieder unter Beweis gestellt, und wurde von der EU deshalb mit harten Sanktionen bestraft. Als Reaktion darauf suchte die nach den Schwachstellen der EU, und fand diese in der Migrations- und Asylpolitik. Dafür genügte ihr ein Blick an die griechische EU-Außengrenze. Dort konnte die türkische Regierung die EU immer wieder unter Druck setzen und dazu bringen, bei umstrittenen Themen einzulenken, indem sie Flüchtlinge an die Grenze zu Griechenland brachte oder auch nur damit drohte, dies zu tun.

Für Lukaschenko lag der Gedanke deshalb nahe, ein paar tausend Schutzsuchende nach Minsk einzuladen und an die Grenze zu schaffen, um die EU zum Einlenken zu bringen – oder dazu, ihre menschenrechtlichen Grundlagen zu verleugnen und sie damit vorzuführen. Das ist ihm gelungen.

Wie konnte es dazu kommen? Die Europäische Menschrechtscharta bildet das Werte-Fundament der Europäischen Union, auf der auch ihr Asylsystem fußt. Zugleich haben die Mitgliedsstaaten Angst vor ihren eigenen Prinzipien. Mit dem sogenannten Dublin-System stehen jene europäischen Staaten in der Pflicht, die Asylanträge von Schutzsuchenden zu prüfen, in denen diese zuerst den Boden der EU betreten haben. Darum gilt: Wer seine Grenzen nicht schließt, muss sich um diese Menschen kümmern. Polen möchte das nicht.

Es geht in der EU nur noch um die Abwehr von Asylsuchenden

Als im Jahr 2015 aufgrund des Kriegs in Syrien rund eine Million Schutzsuchende in Europa ankamen, brach das fragile Asylsystem der EU zusammen. Doch ein robusteres und praktikableres Asylsystem, das auf den Prinzipien der Europäischen Menschenrechtscharta fußt, wurde nicht entwickelt. Flüchtlinge wurden zum Spielball politischer Konflikte, und die Abwehr von Asylsuchenden wurde an erste Stelle gesetzt. Wenn keine Flüchtenden kommen, so die Idee, kann das schwache Asylsystem der EU auch nicht überlastet werden.

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Das Abkommen der EU mit der Türkei war von diesem Gedanken getragen. Die Türkei erhielt finanzielle Unterstützung, um den Flüchtlingen dort zu helfen. Im Gegenzug sollten türkische Sicherheitskräfte die Reise von Schutzsuchenden an die EU-Grenze unterbinden. Das Ziel war, es diesen Menschen unmöglich zu machen, in Europa Asyl zu beantragen.

Diesem Ziel dient auch die Zusammenarbeit der EU mit der libyschen Küstenwache, die Menschenleben missachtet. Dass die EU die Abwehr von Schutzsuchenden zur höchsten Priorität erklärt hat, und dafür mit ihrer Anrainerstaaten zusammenarbeitet, ist immer wieder auf Kritik gestoßen. Denn wenn das Asylrecht von Flüchtlingen kaum noch in Anspruch genommen werden kann, weil sie mit aller Macht davon abgehalten werden, nach Europa zu kommen, steht es nur noch auf dem Papier. Ist es dann nicht faktisch abgeschafft?

Die EU unterstützt die Kriegsrethorik Polen

Die faktische Abschaffung des Asylrechts an den Außengrenzen der EU wird durch die Reaktionen Polens und der EU auf einige tausend Asylsuchende, die aus Belarus kommend an die Türe klopfen, nun untermauert. Menschen, die in Europa Schutz suchen, werden geschlagen, illegal zurückgeschoben und wie feindliche Truppen behandelt. Zehn Menschen sind schon an der Grenze gestorben.

Um diese Methoden zu rechtfertigen und Grundrechte außer Kraft zu setzen, benutz die polnische Regierung eine aggressive Kriegsrhetorik. Dass die EU diese Politik unterstützt, lässt ihre häufig geäußerte – und absolut berechtigte – Sorge um die Rechtstaatlichkeit in Polen scheinheilig wirken.

Die Menschen aus dem Grenzgebiet müssen in der EU aufgenommen werden

Manche suchen nun das Gespräch mit der russischen Regierung, die fest an der Seite des autoritären Regimes in Belarus steht. Andere schlagen vor, die Ukraine und Moldau zu bitten, die Schutzsuchenden aus dem Grenzgebiet aufzunehmen. Aber das ist absurd. Warum soll das wirtschaftlich und politisch starke Europa, dass sich doch als Hüter von Menschenrechten und der Demokratie versteht – und das auch von der demokratischen Opposition in Belarus so gesehen wird – ausgerechnet zwei junge und schwache Nachbarländer bitten, einige tausend Schutzsuchende aufzunehmen? Warum ist es dazu nicht selbst in der Lage?

Vor allem aber würde sich die EU damit nur in weitere Abhängigkeiten begeben. Aus dieser Sackgasse, in die sich die EU selbst manövriert hat, gibt es nur einen Ausweg: Eine Rückkehr zu Menschen- und Grundrechten sowie zur Rechtsstaatlichkeit – auch für Flüchtlinge.

Die Bundesregierung und alle demokratischen Kräfte in der EU müssen sich für eine Flüchtlingspolitik einsetzen, die auf Grundrechten basiert, und davon abrücken, die Sicherung ihrer Grenzen in Nachbarstaaten auszulagern. Die EU muss ihr Abkommen mit der Türkei beenden und ihr Asylsystem grundlegend reformieren. Zuallererst aber muss sie die verzweifelten Menschen aus dem Grenzgebiet zwischen Polen und Belarus aufnehmen. Nur wenn die EU ihre eigenen fundamentalen Prinzipien ernst nimmt, kann sie Autokraten wie Lukaschenko, Putin oder Erdogan mit moralischer Autorität entgegentreten.

Daniel Bax, Olaf Kleist

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