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Politik: In Enttäuschung vereint

Bei Arbeitgebern und Gewerkschaften überwiegt die Unzufriedenheit / Steinbrück weist Kritik zurück

Berlin - Arbeitgeber, Gewerkschafter und Ökonomen äußerten sich am Sonnabend überwiegend kritisch zum Koalitionsvertrag. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt prophezeite „nachteilige Folgen für Wachstum und Beschäftigung“ durch die „drastische Steuer- und Abgabenerhöhung“. Wenn die große Koalition ihre Pläne umsetze, „wird sich die Situation in unserem Land nicht bessern“, befürchtet Hundt. Verdi-Chef Frank Bsirske meinte, „in zentralen Feldern springt die Koalition zu kurz oder in die falsche Richtung“. Bsirske und Hundt kritisierten vor allem die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Wolfgang Franz, Mitglied des Sachverständigenrats, sagte dem Tagesspiegel am Sonntag, mit dem Regierungsprogramm „ kommt Deutschland noch nicht auf einen höheren Wachstumspfad zurück“. Vor allem die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Einführung einer Reichensteuer lehne er „strikt ab“.

Franz erwartet wegen der angekündigten Erhöhung der Mehrwertsteuer 2007 ein Anspringen des privaten Konsums im zweiten Halbjahr 2006. „Im vierten Quartal ist jeder gut beraten, sich das ohnehin geplante Auto oder die Wohnungseinrichtung zu kaufen.“ Im ersten Halbjahr 2007 werde der Konsum dann deutlich zurückgehen. Mit der Anhebung der Mehrwertsteuer die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu senken, gehe zwar „in die richtige Richtung“, sagt Franz. Jedoch hebe die geplante Erhöhung der Beiträge zur Rentenversicherung diese Wirkung teilweise wieder auf. Die Reichensteuer führe eine unnötige Neiddebatte wieder ein. „Viele werden versuchen, ihr Geld im Ausland anzulegen“. Bernd Gottschalk, Präsident des Verbandes der Autoindustrie, verglich den Koalitionsvertrag mit einem „Auto mit starken Bremsen, aber zu wenig Leistung“.

Der designierte Finanzminister, Peer Steinbrück (SPD), wies die Kritik zurück. „Die maßlose Kritik an den Beschlüssen der großen Koalition ist alles andere als gerechtfertigt.“ Die künftige Regierung sei eingestellt auf Konflikte mit Einzelinteressenten und Lobbyisten und erwarte von dieser Seite in den kommenden Monaten auch noch weitere Angriffe. „Wer jetzt allerdings inflationär den Begriff des Betruges nutzt, ist sich der politischen Kollateralschäden nicht bewusst“, sagte Steinbrück. Explizit griff er auch Ökonomen an. „Da wird bewusst mit falschen Zahlen und Fakten hantiert“, sagte er insbesondere über Forscher, die der Koalition vorwerfen, sie spare nicht genug und suche das Heil in Steuererhöhungen.

Moderate Töne kamen vom Handwerk. Dessen Präsident Otto Kenzler sagte dem Tagesspiegel, man erkenne „die Bemühungen beider Parteien, die Situation des Mittelstands und vor allem des Handwerks in Deutschland zu verbessern“. Ausdrücklich erwähnte Kenzler die günstigeren Abschreibungsbedingungen, Maßnahmen zur Liquiditätsverbesserung und den Verzicht auf die Reichensteuer für gewerbliche Einkünfte. Der Handwerkspräsident zeigte sich dennoch skeptisch, denn er habe die Erfahrung, „dass Politiker in Sonntagsreden stets Verbesserungen für den Mittelstand versprechen, es bei der Umsetzung jedoch in aller Regel hapert“. Schließlich sei es vor allem der Mittelstand, Handel, Handwerk und kleine Dienstleister, „die durch die exorbitante Steigerung der Mehrwertsteuer besonders hart getroffen werden“, sagte Kenzler.

Der Handwerkspräsident forderte ebenso wie Arbeitgeberpräsident Hundt schnellstmöglich eine Gesundheitsreform. Sowohl in der Kranken- als auch in der Pflegeversicherung „droht im Laufe dieser Legislaturperiode eine erhebliche Beitragssteigerung“, sagte Hundt. Es bleibe „das Geheimnis der Koalitionsparteien“, wie die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge unter 40 Prozent abgesenkt werden sollten. Mit der geplanten Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung um zwei Prozent und der Anhebung des Rentenversicherungsbeitrags um 0,4 Prozent sinke der Gesamtbeitragssatz von 41,93 auf 40,3 Prozent.

Dagmar Rosenfeld[Antje Sirleschtov], Flora Wisd

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