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Martin Kobler (58) arbeitet seit August 2011 für die Vereinten Nationen im Irak. 2006/07 war er Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Bagdad.

© dpa

Interview: UN-Sonderbeauftragter: "Der Irak wird nicht zerfallen"

Martin Kobler ist Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen für den Irak. Mit dem Tagesspiegel spricht er über den Streit um Öl und Gas – und das gute Image Deutschlands am Golf.

Von Hans Monath

Herr Kobler, wie hoch ist nach der Aufkündigung der Machtteilung zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden und der neuen Anschlagserie die Gefahr eines Bürgerkriegs im Irak?

Ich erwarte nicht, dass es zu einem Bürgerkrieg kommt. Es gibt eine politische Blockade im Irak. Das Land steht vor großen Sicherheitsproblemen, das haben die Anschläge gezeigt. Ich habe die Terrorakte aufs Schärfste verurteilt und die politische Führung im Land aufgefordert, ihrer Verantwortung gerecht zu werden.

Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?

Ich bin weder optimistisch noch pessimistisch, ich bin realistisch und bewerte die Fakten. Irak verfügt heute über Sicherheitskräfte, deren Zustand weit besser ist als noch vor wenigen Jahren. Der Irak wird nicht zerfallen.

Sie hatten als UN-Sonderbeauftragter ein Treffen von Parlamentariern von Sunniten und Schiiten vorgeschlagen – aber diese wollten nicht. Gibt es noch Chancen auf einen Ausgleich?

Der Irak hat eine Regierung, in der alle vertreten sind: Sunniten, Schiiten und Kurden. Die Sunniten boykottieren zurzeit die Regierung. Gegen den stellvertretenden Präsidenten läuft ein Verfahren wegen angeblicher terroristischer Verbindungen. Er hält sich bis auf Weiteres in Kurdistan auf. Das alles trägt nicht dazu bei, dass das Land sich stabilisiert. Wir drängen darauf, dass sich alle zusammensetzen. Bislang kam dieses Treffen nicht zustande. Boykott ist keine Lösung. Trotzdem bin ich zuversichtlich, dass sich die Lage entspannen wird. Niemand hier im Land will, dass der Zustand der permanenten Gewalt zurückkehrt, den die Iraker 2006 und 2007 erlebt haben.

Im Gegensatz zu vielen anderen Krisenstaaten ist das Ölland Irak reich. Warum hilft dieser Reichtum nicht, die Krise einzudämmen?

Wer die Ressourcen Öl und Gas kontrolliert, hat auch Macht. Also wird um diese Kontrolle erbittert gestritten. Der Streit vor allem zwischen der Zentralregierung und den Kurden hat dazu geführt, dass im Parlament seit vielen Jahren die Verabschiedung des Öl- und Gasgesetzes blockiert wird. Es ist aber Voraussetzung dafür, dass eine gerechte Verteilung der Einnahmen gesichert wird und Investoren Rechtssicherheit haben. Der Irak ist ein reiches Land mit großem Potenzial, aber mit einer weitgehend armen Bevölkerung. Die Hälfte der Iraker ist jünger als 19 Jahre. Die jungen Männer und Frauen müssen eine wirtschaftliche Perspektive haben. Sonst wird es kein Ende der Gewalt geben. Gerade im Interesse der jungen Bevölkerung habe ich die Terrorakte verurteilt und die Führer der politischen Gruppen aufgefordert, ihre Konflikte friedlich zu lösen.

Was können die Vereinten Nationen überhaupt bewegen?
Wir sind von allen Seiten anerkannt als eine Kraft, die keine eigenen Interessen verfolgt. Wir haben keine Ölgesellschaften. Unsere Werte stehen für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Stabilität, Menschenrechte und eine starke Rolle der Zivilgesellschaft. Das wissen die Iraker genau. Wo immer ich als UN-Sonderbeauftragter in diesem Land hinkomme, bitten sowohl Vertreter der Zivilgesellschaft als auch Politiker aller Gruppen um Vermittlung der UN. Sie hoffen, dass wir beitragen, den Stillstand im Dialog zu überwinden.

Sie waren vor Ihrem Einsatz im Irak Vize- Leiter der UN-Mission in Afghanistan. Was lässt sich aus der Krise im Irak für Afghanistan lernen, wo bis 2014 die ausländischen Truppen abgezogen sein sollen?

Die Länder sind sehr unterschiedlich. Ein direkter Vergleich ist kaum möglich. Eines allerdings gilt für Afghanistan und den Irak: Vor einem Abzug müssen die demokratischen Institutionen so gestärkt sein, dass sie auch ohne fremde Truppen bestehen können und auf Dauer überlebensfähig sind. Nun kann in einem solchen Übergangsprozess nicht alles glatt verlaufen. Aber die internationale Gemeinschaft muss sicherstellen, dass vor Abzug der Truppen ein politisches System etabliert ist, das Sicherheit garantieren kann und auch Belastungsproben aushält.

Kann Deutschland zur Stabilisierung des Irak beitragen?

Deutschland hat vor allem ein gutes Image im Irak. Deutschland kommt zudem als großer Wirtschaftsmacht eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung des Irak zu. Der Besuch von Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler und deutschen Wirtschaftsvertretern im Irak vor einigen Wochen war ein gutes Signal.

Heißt das, Sie empfehlen der deutschen Wirtschaft, sich von der jüngsten Entwicklung nicht entmutigen zu lassen?

Ich empfehle, die Lage zu beobachten. Natürlich sind die Sicherheits- und Rechtslage so, dass man Zurückhaltung verstehen kann. Aber das ist nicht das Ende des Tages. Wer strategisch auf den Irak schaut, wird seine Chancen erkennen.

Wie steht es um die Sicherheit der UN-Mitarbeiter im Irak, die bislang von den Amerikanern gewährleistet wurde?

Die US-Truppen sorgen schon seit einem halben Jahr nicht mehr für den Schutz unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Unsere Sicherheit wird seither von irakischen Truppen gewährleistet – und das sehr zuverlässig. Wir haben keinen Grund, uns zu beklagen.

Das Gespräch führte Hans Monath.

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