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Iran: Regime verbietet Trauerfeiern für Neda

"Sie wollte nur, dass die Stimmen korrekt ausgezählt werden." Ihr Verlobter und ihre Eltern beschworen Neda Soltani, nicht auf die Straße zu gehen. Dort wurde die Demonstrantin erschossen. Sie ist zur Ikone des iranischen Widerstands geworden.

Von Istanbul bis Los Angeles tragen Menschen Plakate mit ihrem blutverschmierten Gesicht durch die Straßen. "Neda, Neda" riefen nach Augenzeugenberichten auch die rund tausend Demonstranten, die sich am Montagnachmittag auf dem Haft-e-Tir-Platz in Teheran erneut auf die Straße gewagt hatten und schnell einer vierfachen Übermacht an Revolutionären Garden und Basij-Milizen weichen mussten. Und Mehdi Karroubi, Reformkandidat und Geistlicher, rief für Donnerstag zum zweiten Totengedenken auf, für alle getöteten Demonstranten des vergangenen Wochenendes, darunter auch die 26-jährige Neda Agha-Soltani. Sie wurde am Sonntag hastig und in aller Stille beerdigt - nach Angaben ihrer Familie verbot das Regime allen Moscheen der Stadt, Feiern für ihre Tochter abzuhalten. Polizisten erschienen sogar an der Wohnungstür und forderten die Eltern auf, die schwarzen Trauertücher von der Hauswand zu entfernen und "nicht in der Öffentlichkeit" über Neda zu sprechen.

Doch es dringt immer mehr nach außen, vor allem durch den zweimaligen Pulitzer-Preisträger Borzou Daragahi, der noch für die Los Angeles Times in Teheran ist. Ihm gelang es bereits am Sonntag früh, die Familie von Neda zu finden. Er verbrachte den Trauertag im Kreis ihrer Freunde und auf seinem Bericht basieren die meisten neuen Details. "Sie war ein fröhliche junge Frau", sagte ihr Musiklehrer Hamid Panahi. "Sie war wie ein Lichtstrahl. Sie war ein so viel versprechender Mensch." Bei ihm hatte sie Klavier- und Gesangsunterricht. Und Hamid Panahi, und nicht - wie ursprünglich berichtet - Nedas Vater, war der weißhaarige ältere Mann im gestreiften T-Shirt, in dessen Armen sie starb. "Hab keine Angst Neda! Bleib bei mir, Neda, bleib bei mir!", hört man ihn auf dem Video verzweifelt schreien, während ihr das Blut aus Mund und Nase quoll. Ein drittes inzwischen aufgetauchtes Handy-Video, was kurz vor dem tödlichen Schuss aufgenommen wurde, zeigt die beiden inmitten einer kleinen Gruppe. Sie stehen auf der Straße und schauen Demonstranten zu, die mit Rufen "Allah ist groß" und "Nieder mit dem Diktator" vorbeiziehen.

Neda wurde 1982 in Teheran geboren und hat zwei Brüder. Ihr Vater ist Beamter, ihre Mutter Hausfrau. Zunächst studierte sie islamische Philosophie an der Azad-Universität. Dann ließ sie sich an einem Privatinstitut zur Touristenführerin ausbilden und begann, Türkisch zu lernen. Reisen wurde ihre Leidenschaft, erzählten ihre Freunde dem amerikanischen Reporter. Sie fuhr nach Dubai und Thailand. Vor einigen Monaten flog sie zum Strandurlaub nach Izmir in die Türkei. Dort lernte sie ihren Verlobten Caspian Makan kennen, einen 37-jährigen Fotographen. "Ich habe versucht, sie davon abzuhalten, auf die Straße zu geben - vergeblich", sagte er in einem Interview mit dem persischen Dienst von BBC.

Nach dem kompromisslosen Freitagsgebet von Ajatollah Ali Chamenei wusste jeder in Teheran, jetzt wird es lebensgefährlich. Auch ihre Eltern beschworen Neda, zu Hause zu bleiben, erzählten sie weinend, bevor sich Freunde und Familie in mehreren Kleinbussen auf den einstündigen Weg quer durch die Stadt zum Behesht-Zahra-Friedhof im Süden Teherans aufmachten. "Sie wollte nur, dass die Stimmen korrekt ausgezählt werden", sagte Panahi, ihr Musiklehrer. Auf dem Karekar-Boulevard habe er plötzlich einen dumpfen Schlag gehört und im Augenwinkel gesehen, wie Neda zu Boden ging. "Ich bin am brennen, ich bin am brennen", stammelte sie noch, bevor sie das Bewusstsein verlor. Ein Arzt versuchte, die Schusswunde im Brustkorb mit dem Daumenballen zuzudrücken. In Panik verfrachteten Passanten schließlich den leblosen Körper in ein Auto, eine hektische Suche nach einem Krankenhaus begann. Als sie in der Notaufnahme des Shariati-Hospitals ankamen, war Neda tot.

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