zum Hauptinhalt
Iran

© dpa

Iran: Teheran im Ausnahmezustand: Steine fliegen, Autos brennen

Iran nach der Präsidentenwahl: Müllcontainer stehen in Flammen, über einigen Teilen der iranischen Hauptstadt stehen schwarze Rauchwolken. Regierungsgegner protestieren auf den Straßen. Der bei der Wahl unterlegene Reformpolitiker Mussawi will sich heute mit einer Rede an das Volk wenden.

Das ganze Wochenende über lieferten sich tausende junger Mussawi-Anhänger Straßenschlachten mit der Polizei. Vermummte Spezialeinheiten auf Motorrädern machten mit gezückten Knüppeln Jagd auf Passanten. Mit Handys von Hausdächern gefilmte Szenen zeigen schwarze Uniformierte, die wahllos auf Demonstranten einprügeln und sie scharenweise verhaften. "Nieder mit dem Diktator", "Nieder mit dem Regime des Demagogen" und "Ahmadi, schäm dich und hau ab!" skandierten die Empörten an zahllosen Plätzen der Stadt. Ein Ende der Unruhen ist nicht in Sicht. Ein Bankgebäude und mehrere Busse gingen in Flammen auf, alle Zufahrtsstraßen zum Innenministerium sind seit Samstag früh mit Betonsperren und heftiger Polizeipräsenz blockiert.

Ausländische Journalisten wurden inzwischen von den Behörden aufgefordert, das Land zu verlassen. Ein Fernsehteam des italienischen Senders RAI geriet in eine Straßenschlacht, ihr Dolmetscher wurde von der Polizei zusammengeschlagen, das Filmmaterial beschlagnahmt. Der angesehene saudische Sender Al-Arabiya, dem US-Präsident Barack Obama im Januar sein erstes Interview im Weißen Haus gegeben hatte, musste am Sonntag sein Büro schließen - der persische Sender von BBC wird gestört.

Mussawi: "Lug und Trug"

Seit Innenminister Sadeq Mahsouli am Freitagabend kurz vor Mitternacht im Pressesaal seines Ministeriums vor die Kameras trat, spielen sich in der iranischen Hauptstadt Szenen ab, wie es sie seit den schweren Studentenunruhen vor zehn Jahren nicht mehr gegeben hat. Kaum hatten die Wahllokale geschlossen, rief Mahsouli seinen Chef, den Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, offiziell zum Erdrutschsieger aus. Und dieser Linie folgte er dann bei allen stündlichen Zwischenergebnissen bis zum Ende des Zählmarathons in den frühen Morgenstunden. Egal wie viele Voten ausgezählt waren, egal aus welcher Ecke des Landes sie kamen, die Ergebnisse waren stets von der gleichen Eintönigkeit - zwei Drittel für Ahmadinedschad, ein Drittel für Mussawi und die beiden anderen Kandidaten Mohsen Rezai und Mehdi Karroubi bei nahezu bei Null.

Von "Lug und Trug" sprach wütend der Herausforderer Mussawi. Auch er hatte sich am späten Freitagabend zunächst zum Sieger ausgerufen - offenbar irregeleitet durch eine gezielte Finte des Regimes. Mussawi habe einen Anruf vom Innenministerium erhalten, hieß es in seiner Umgebung. Der Kandidat habe die Wahl gewonnen und möge bitte eine Erklärung vorbereiten, lautete die frohe Botschaft. Doch kaum hatte der 67-jährige Ex-Premier vor den Mikrofonen Platz genommen, tickerte über die staatliche Nachrichtenagentur Irna die längst vorbereitete Jubelmeldung: "Doktor Ahmadinedschad hat die Mehrheit der Stimmen bekommen und ist der definitive Sieger der 10. Präsidentschaftswahlen". Danach ging alles sehr schnell. Das staatliche iranische Fernsehen sendete vorgefertigte Huldigungen auf den alten und neuen Präsidenten und rief die Bevölkerung auf, sie möge sich hinter dem großen Sieger scharen. Kurze Zeit später verwüstete ein Mob Mussawis vierstöckige Wahlkampfzentrale in der kleinen Mir Hadi Straße im Zentrum von Teheran.

Verhaftungswelle läuft

Und inzwischen läuft auch die politische Verhaftungswelle. Mehr als 170 Reformer wurden aus den Betten geholt, teilte der Vize-Polizeichef von Teheran mit. "Zehn gelten als Drahtzieher der Unruhen und wir werden noch mehr verhaften", drohte er. Andere sind enge Mitarbeiter von Mohammed Chatami, der Mussawi im Wahlkampf offen unterstützte - darunter auch der Bruder des Ex-Präsidenten, Mohammad Reza Chatami. Für Mussawi selbst, der am Wochenende nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen wurde, blieb als Protestmittel nur seine Website. "Lügen und Tyrannei werden eine verheerende Wirkung auf das Schicksal unseres Landes haben", schrieb er in einem elektronischen Brief an "das ehrenwerte Volk des Iran". Er werde sich dieser gefährlichen Inszenierung nicht beugen. Er werde die Geheimnisse hinter dem Vorhang lüften, versprach er online seinen Wählern. Das Volk werde sich nicht einer Führung beugen, die "durch Betrügen an die Macht" gekommen sei.

Und in der Tat, die Liste der Merkwürdigkeiten ist lang und wird stündlich länger. Nicht nur wurde den Beobachtern der Opposition jeder Zugang zu den Wahllokalen verweigert. SMS funktionierte im Iran bereits seit Mittwoch nicht mehr. Am Samstag wurden die gesamten Handynetze in Teheran gekappt und das Internet gestört, um Mussawi endgültig von seinen Anhängern abzuschneiden. Nach mehreren Berichten waren 13 Millionen mehr Stimmzettel im Umlauf, als Wahlberechtigte. Umgekehrt konnten tausende von Wählern, die stundenlang gewartet hatten, am Ende doch nicht ihre Stimme abgeben, weil es keine Wahlzettel mehr gab. Anders als bei allen früheren Abstimmungen, gab diesmal es von Seiten des Innenministeriums keine Aufschlüsselung der Stimmen nach Provinzen. Und die letzte Addition nahm Innenminister Sadeq Mahsouli dann offenbar ganz alleine in seinem Amtszimmer vor, ohne unabhängige Beobachter, ohne Zeugen - lediglich unterstützt von zwei Assistenten.

Ayatollah Ali Chamenei stellt sich gegen Protestler

"Einen göttlichen Bescheid", sollte der oberste geistliche Führer, Ayatollah Ali Chamenei, später die zweifelhaften Additionen des Innenministers nennen. Er pries den Wahlausgang als "wahres Fest", rief aber gleichzeitig die Bevölkerung zur Ruhe auf und machte klar, dass er nicht gewillt ist, den "provokativen" Protesten der Reformer nachzugeben. Entsprechend unbekümmert präsentierte sich dann auch der frisch gekürte Präsident am Samstagabend bei seiner ersten Fernsehansprache an das Volk. Die Wahlen nannte er "frei und gesund", sein Ergebnis einen "großen Sieg". Dann versprach er "eine neue Ära in der Geschichte der iranischen Nation" und lud seine Anhänger zur großen Siegesfeier ein. Eine Wahl sei wie ein Fußballspiel und der Verlierer sollte "die Sache drangeben".

Doch noch ist der Machtkampf nicht entschieden. Anders als der populäre Reformpräsident Chatami ist der ehemalige Kriegspremier Mussawi aus ganz anderem Holz geschnitzt. Acht Jahre hat er sein Land im Krieg gegen Saddam Hussein erfolgreich geführt. Acht Jahre war er Regierungschef und enger Vertrauter von Revolutionsführer Chomeini, immer noch die mächtigste politische Referenzfigur im Lande. Auch hat er in den letzten Wochen im Volk eine Begeisterung erzeugt und Hoffnungen geweckt, wie kaum ein anderer Politiker vor ihm. "Diese Tage könnten zu einem historischen Wendepunkt werden in der 30-jährigen Geschichte der Islamischen Republik", schreibt Gary Sick, früherer Berater von US-Präsident Jimmy Carter, in dessen Amtszeit die Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran fiel. Niemals hätten die Iraner vergessen, dass ihre demokratischen Hoffnungen 1953 mit dem CIA-Putsch gegen Ministerpräsident Mohammad Mossadegh durch äußere Einmischung zunichte gemacht worden seien. "Wie aber werden sie wohl diesen Wahltag in Erinnerung behalten?"

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false