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Iran: Zensur mit Schlupflöchern

Iranische Behörden verbieten Medien die Berichterstattung auf offener Straße. Doch über das Internet wird das Geschehen dennoch in aller Welt bekannt.

Der Iran hat allen Journalisten ausländischer Medien die Berichterstattung auf offener Straße verboten. Der Anordnung vom Dienstag zufolge dürfen die Reporter nur noch aus ihren Büros berichten. Augenzeugenberichte werden dadurch unmöglich. Auch Interviews können nur noch am Telefon geführt werden, für Informationsmaterial darf nur noch auf amtliche Quellen wie etwa das staatliche Fernsehen zurückgegriffen werden. Die iranischen Behörden kündigten zudem an, ausländischen Korrespondenten, die zur Präsidentenwahl am vergangenen Freitag ins Land gekommen waren, keine Verlängerung ihrer Visa zu gewähren.

ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender, der in ständigem Kontakt mit Korrespondent Halim Hosny in Teheran steht, sagte dem Tagesspiegel, dass „die Korrespondenten faktisch nicht mehr arbeiten dürfen, sie dürfen ihre Büros oder Hotels nicht mehr verlassen“. Damit sei das wichtigste Mittel der Berichterstattung, der Augenschein, nicht mehr möglich. Die Korrespondenten von ARD und ZDF seien jetzt im Büro der European Broadcasting Union (EBU), dem Zusammenschluss aller öffentlich-rechtlichen Sender Europas. Was an Berichterstattung noch machbar sei, sagte Brender, „das ist schlicht undurchsichtig – und das ist das Gefährlichste“.

Die ausländischen Journalisten versuchen jetzt per Telefon zu recherchieren, Interviews zu führen und ihre Eindrücke zu übermitteln. Der nächste Schritt, den die iranischen Behörden, speziell die Mitarbeiter des Ministeriums für Kultur und Islamische Unterweisung (Erschat), unternehmen könnten, wären die Blockade oder das Abschalten der Handys.

Obwohl damit den Mitarbeitern ausländischer Medien quasi ein Berufsverbot erteilt wurde, erreichen trotzdem Bilder und Stimmen des inneriranischen Aufruhrs eine weltweite Öffentlichkeit. Denn die junge Protestbewegung nutzt alle Kommunikationswege, die Internetdienste und soziale Online-Netzwerke bieten. Dabei scheint sie den staatlichen Zensoren, die Fernsehen, Rundfunk und Presse erfolgreich kontrollieren, einen digitalen Schritt voraus zu sein. Der Online-Informationsstrom reißt nicht ab.

Wichtigstes Medium ist der Nachrichtendienst Twitter. Im Sekundentakt werden unter Sammelbegriffen wie „Iran Election“, „Mousavi“ oder „Teheran“ neueste Kurznachrichten zur Lage im Iran von einer weltumspannenden Community hochgeladen. Häufig beschränken sich die maximal 140 Zeichen starken Textschnipsel auf Solidaritätsbekundungen mit den Protestierenden, durchs „Gezwitscher“ dringen aber auch immer neue Momentaufnahmen aus dem Iran. So machte am gestrigen Dienstag der Aufruf des Oppositionsführers Mir-Hossein Mussawi millionenfach die Runde, alle Anhänger sollten zu Hause bleiben „um nicht in die Falle organisierter Krawalle zu tappen“.

Die amerikanischen Twitter-Betreiber mussten auf die gewachsene politische Bedeutung ihres Kurznachrichtendienstes bereits reagieren. Angekündigte Wartungsarbeiten, die den Dienst vorübergehend lahmgelegt hätten, wurden auf den Mittwochnachmittag mitteleuropäischer Zeit verschoben – nachdem die Netzgemeinde, mit Verweis auf die dramatische Situation im Iran, massiv dagegen protestiert hatte. Auch das Online-Videoportal Youtube wird zur Berichterstattung und Kommunikation genutzt. Während ausländische Korrespondenten keine Filmaufnahmen von Protesten und Ausschreitungen in Teheran machen dürfen, filmen Iraner mit Videohandys und Camcordern die Geschehnisse und laden das Material bei Youtube hoch. In verwackelten Bildern, auf eigens eingerichteten „Channels“, sind dort vor allem Jagdszenen zu sehen. Sicherheitskräfte in Kampfmontur liefern sich zwischen brennenden Barrikaden Prügeleien mit Steinewerfern. Knüppelschwingende Motorrad-Milizen rasen in unbewaffnete Demonstrantengruppen. Ähnliches zeigen die großen Foto-Plattformen im Internet, auf Seiten wie Flickr sind umfangreiche Bilddokumentationen eingestellt. Die Bandbreite reicht von Aufnahmen friedlicher Massenproteste bis hin zu drastischen Fotos erschossener Zivilisten, die nach Angaben staatlicher iranischer Rundfunksender am Montag einen Militärposten in Teheran angegriffen hätten.

Auch der Kampf der Worte wird im Internet geführt, vor allem in zahlreichen Weblogs. Über 100 000 Blogger soll es nach Schätzungen von Experten im Iran geben. Seiten wie tehranlive.org oder tehranbureau.com berichten unabhängig und englischsprachig über die Proteste, auch sie verfügen über umfangreiches Bildmaterial von hoher Qualität. In sozialen Netzwerken wie Facebook ist die Lage im Iran ebenfalls großes Thema. Hier gewinnen Gruppen wie „Where is my vote?“ oder „Free Iran“ massiv an Zulauf. Oppositionsführer Mir-Hossein Mussawi hat auf der amerikanischen Kommunikationsplattform bereits über 55 000 Unterstützer hinter sich formiert. Sie bekunden auf seinem Personenprofil ihre Solidarität, verabreden sich zu neuen Kundgebungen und werden zur Berichterstattung westlicher Fernsehsender verlinkt.

Mussawi setzte bereits im Wahlkampf auf die Medienaffinität vieler Landsleute. Nach dem Motto „Jeder Iraner ist ein Medium“ versendeten seine Wahlkampfmanager SMS-Botschaften und vernetzten sich über die etablierten Internetplattformen mit der erreichbaren Bevölkerung. Das Informationsmonopol der staatlichen TV-Sender, Radiostationen und Tageszeitungen konnte so unterlaufen werden.

Doch was seit dem Wahltag auf den Straßen gilt, gilt auch im Cyberspace: Das Regime macht mobil. Vor allem gegen das digitale Informationsnetz der Opposition. Das Versenden von SMS geht seit Tagen nicht mehr, viele Internetseiten sind blockiert. Prominente Blogger wurden verhaftet. Täglich liefern sich staatliche Zensoren und die „computerfitten“ Iraner ein Katz-und-Maus-Spiel, mit ungewissem Ausgang. Denn ob das Internet des Iran langfristig lahmzulegen ist und welche Inhalte und Seiten für Iraner bereits unerreichbar sind, ist unklar. Um die Zensur der Machthaber zu umgehen, zeigen sich die Anhänger Mussawis kreativ. Mit sogenannten Proxy-Servern, alternativen Zugängen zum Internet, versuchen sie die staatlichen Seitensperrungen zu umgehen. Listen aktueller Proxy-Server werden wiederum über offene Online-Kanäle verbreitet.

Eine dauerhafte Sperrung aller iranischen Internetzugänge sei technisch nur schwer machbar, vermuten Experten. Bisher sei dies auch noch nicht versucht worden, sagt Jim Cowie, ein US-Experte für die Infrastruktur der Internets. Cowie hat die Netzbewegungen um den iranischen Wahltermin herum untersucht. Sein Ergebnis: Zahlreiche iranische Webseiten seien vor und nach dem Urnengang blockiert worden. Viele Inhalte seien seitdem im Inland wohl nicht mehr abrufbar. Der generelle Informationsfluss ins Ausland sei aber nicht unterbrochen worden. Das Twittern hält an.

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