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Islam: „Es gibt keinen Automatismus zur Gewalt“

Konvertiten-Forscherin Wohlrab-Sahr: Nicht der Islam, sondern die Biographie gibt den Ausschlag.

Die Zahl der Konvertiten zum Islam in Deutschland steigt. Was sind die Motive?

Der Islam bietet dem Konvertiten die Möglichkeit, sich von seinem bisherigen Lebenskontext abzusetzen. Er kann damit seine Unzufriedenheit mit dem bisherigen Leben markieren. Das gilt ganz allgemein für Konversionen – sei es zum strengen Katholizismus, zu evangelikalen Gruppierungen oder auch zu einer politischen Partei, der man sich fortan mit Haut und Haaren verschreibt.

Wie stark ist der Bruch mit der eigenen Biographie?

Die meisten Konversionen zum Islam sind ganz unspektakulär und werden ausgelöst durch eine Heirat. Deshalb ist die Zahl der Konversionen bei Frauen häufiger als bei Männern. Diese Konversionen operieren sehr stark mit Übergängen und Kompromissen – die neue Religion fügt dem alten Kontext etwas hinzu, sie wird aber auch aufgrund der bisherigen Erfahrungen neu betrachtet. Es gibt aber spektakuläre Konversionen, die einen radikalen Bruch vollziehen: nicht mehr in die Kneipe gehen, sich anders kleiden, sich andere Freunde suchen.

Und ein kleiner Teil dieser Konvertiten wird gewaltbereit, sieht sich fortan im Kampf gegen den westlichen Imperialismus und die westliche Arroganz. Gibt es eine Kontinuität zur Ideologie der radikalen Linken der 70er und 80er Jahre, nur im frommen Gewand? Sozusagen von der Rote-Armee-Fraktion zur Islamischen Armee-Fraktion?

Bei einzelnen Personen gibt es diese Verbindung von der radikalen Linken hin zum Islam oder zu einem Antisemitismus, der strategische Bündnisse mit muslimischen Gruppierungen eingeht. Nehmen Sie als Beispiel Roger Garaudy in Frankreich oder auch Horst Mahler: Ein radikaler Linker wird zum radikalen Rechten, der sich mit dem Antisemitismus Ahmadinedschads verbündet. An manchen Stellen taucht die säkulare Imperialismuskritik der 70er-Jahre wieder auf in einer Solidarisierung mit der „unterdrückten islamischen Welt“. Das ist eine Kontinuität politischer Haltungen, die sich immer wieder in neuem Gewand präsentiert. Dies ist aber nicht aus dem Islam selbst heraus erklärbar. Und schon gar nicht ist das ein Automatismus, der an die Konversion zum Islam gekoppelt wäre.

Gibt es eine Typologie des radikalen Konvertiten?

Eine Typologie, wenn es sie gibt, hängt nicht primär mit dem Islam zusammen. Ich habe bei meinen Untersuchungen eine Frau getroffen, die aus Solidarität mit den Palästinensern einen Palästinenser geheiratet hat, ihre Kinder in Palästina zur Welt gebracht hat und zum Islam konvertiert ist. Dann hat sie sich davon wieder abgewandt und sich einem radikalen Feminismus zugewandt. Wieder hat sie alles, was vorher in ihrem Leben wichtig war, infrage gestellt, darunter auch den Islam. Es gibt radikalisierte politische Biographien, die sich ihr Material suchen, wo sie es finden. Es gibt Leute, die kleiden sich ideologisch immer wieder neu ein. Insofern ist das konkrete ideologische Gewand ihrer radikalen politischen Biographie vergleichsweise beliebig.

Innenminister Wolfgang Schäuble warnt eindringlich vor diesem radikalen Segment der Konvertiten. Ist das gerechtfertigt?

Konvertiten, die sich islamistischen Gruppen angeschlossen und gewalttätig geworden sind – das existiert und dafür gibt es einzelne Belege. Daraus sollte man aber keine generelle Gefahr ableiten in dem Sinne, dass bei Konversionen zum Islam der Weg in die Gewalt irgendwie nahe liegt. Nicht die Konversion zum Islam als solche führt Menschen zur Gewaltbereitschaft, sondern eine bestimmte Psychodynamik oder politische Dynamik in ihrem Leben. Das Individuum mit seiner Biografie steht bei solchen Entwicklungen sehr viel stärker im Vordergrund als der neue Lebensrahmen des Islam, in den es hineinkonvertiert.

Das Gespräch führte Martin Gehlen.

Monika Wohlrab-Sahr ist Professorin für Kultursoziologie am Institut für Kulturwissenschaften in Leipzig. Sie forscht über Konversionen zum Islam in Deutschland.

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