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Politik: „Ist Milosevic Massenmörder oder Christ?“

Muslime: Verbrechen nicht an Religion festmachenBerlin - Die Muslime in Deutschland sehen sich im Zusammenhang mit den jüngsten Terrorfällen wachsender Ablehnung ausgesetzt. „Wir sind froh, dass der mutmaßliche Täter gefasst ist, nicht aber darüber, dass erneut Hysterie spürbar wird, ein mehr oder weniger offen vorgebrachter Generalverdacht gegen Muslime“, sagt Ali Kizilkaya, der Vorsitzende des Islamrats, im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Muslime: Verbrechen nicht an Religion festmachen

Berlin - Die Muslime in Deutschland sehen sich im Zusammenhang mit den jüngsten Terrorfällen wachsender Ablehnung ausgesetzt. „Wir sind froh, dass der mutmaßliche Täter gefasst ist, nicht aber darüber, dass erneut Hysterie spürbar wird, ein mehr oder weniger offen vorgebrachter Generalverdacht gegen Muslime“, sagt Ali Kizilkaya, der Vorsitzende des Islamrats, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Damit sind wir doppelt getroffen, denn auch wir können als Bürger, Bahnkunden oder Fluggäste Opfer eines Anschlags werden.“

Auch Aiman Mazyek, der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime, sagt, dass sich das Klima „sehr verschlechtert“ habe und „die Signale aus Politik und Gesellschaft eher besorgniserregend als hoffnungsvoll“ seien. „Man wird schief angesehen, auch Drohmails gehen bei uns ein.“ Auch Mazyek hält es für „einen Fehler, ein Verbrechen an einer Religion festzumachen. Ein Mord bleibt ein Mord, ein Mordversuch ein Mordversuch, egal welcher Religion der Täter angehört. Ist Milosevic ein Massenmörder oder ein orthodoxer Christ?“

Beide kritisieren auch die Erwartung an die muslimischen Gemeinden und Organisationen, sie könnten die Terrorbekämpfung übernehmen. Das sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sagt Kizilkaya. „Ich möchte auch nicht, dass nun jeder seinen muslimischen Nachbarn beobachtet, sofern das nicht schon eine Überwachungskamera tut.“ Mazyek sieht zwar Grund zur Selbstkritik: „Unsere Gemeindevorsteher könnten manchmal schon mehr dafür tun, dass Menschen, die am Rande stehen, wieder in die Mitte der Gemeinden geholt werden.“ Andererseits sei das aktuelle Klima auch dafür fatal: „Viele Muslime sind ohnehin eingeschüchtert. Gerade die, die beruflich gut dastehen, die politisch arbeiten, in Verbänden mitmachen, deprimiert dieses feindselige Klima.“ Das wirke sich wieder „katastrophal“ auf Jüngere aus, die gerade in erfolgreichen Muslimen ein Vorbild sehen könnten: „Die müssen sich doch sagen: Seht doch, wie es euch geht. Da muss ich euren Weg doch gar nicht erst gehen.“ Dann allerdings, sagt Mazyek, „hätten die Terroristen wirklich gesiegt“.

Eine wachsende Unsicherheit der Muslime in Deutschland scheint auch der Grund für eine gewisse Zurückhaltung beim Engagement zu sein, etwa an den Universitäten, wo deutsche Muslime die ausländischen ansprechen und in die eigenen Versammlungsräume und Moscheen holen könnten. Einerseits, so ist aus den Verbänden zu erfahren, könnten die sehr westlich geprägten Glaubensbrüder und -schwestern diese Muslime oft kaum erreichen. Aber man sorgt sich auch um die Folgen: Was, wenn ein Student einmal vorbeischaut und später als Bombenleger verdächtigt wird? Heißt es dann: Hatte Kontakt zu Moschee X und Imam Y? Ali Kizilkayas Rat an die Mehrheitsgesellschaft geht in die Richtung des Kollegen vom Zentralrat: „Man sollte den Menschen das Gefühl geben, dass sie dazugehören, statt sie auszugrenzen. Dann hat man schon viel für die Terrorprävention getan.“

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