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Politik: Jeder wirbt für sich allein

Europa wählt – doch die Kampagnen bleiben national

Es soll eine demokratische Massenveranstaltung werden, wie sie Europa noch nicht erlebt hat: Bei der Europawahl zwischen dem 10. und 13. Juni sind insgesamt 342 Millionen Stimmberechtigte aufgerufen, die neuen Abgeordneten für das Europaparlament zu wählen. Erstmals sind auch die neuen EU-Bürger aus den zehn Beitrittsländern dabei. Doch eine europäische Aufbruchstimmung lässt auf sich warten. „Von einer europaweiten Kampagne fehlt jede Spur“, hat der Europaexperte Ben Crum von dem Brüsseler Forschungsinstitut Centre for European Policy Studies (CEPS) beobachtet. Es ist also auch bei dieser Europawahl alles wie gehabt: Die Wahl wird entschieden in 25 voneinander getrennten Wahlkämpfen.

Die letzte Europawahl im Jahr 1999 fand noch im halbwegs überschaubaren Club von 15 Staaten statt, und über eine mögliche EU-Verfassung wurde auch nur in Expertenzirkeln diskutiert. Inzwischen ist die EU-Erweiterung Realität geworden, und beim EU-Gipfel Mitte Juni wird sich zeigen, ob auch eine europäische Verfassung eine Chance erhält. Diese dramatischen Veränderungen in der Europapolitik schlagen sich vor allem im Wahlkampf in den „alten“ EU-Staaten nieder: „Wie gehen wir mit der Erweiterung um? Geht unser nationales Interesse immer zwangsläufig mit Europa zusammen? Das sind Fragen, die im Europawahlkampf plötzlich auch in den Gründungsstaaten der Europäischen Gemeinschaft gestellt werden“, so Ben Crum vom Brüsseler CEPS. Besonders in den Niederlanden, aber auch in Italien bröckele der traditionelle Europakonsens unter den großen Parteien. Am europafreundlichsten treten sämtliche großen Parteien noch in Belgien auf.

Dagegen hat die politische Klasse in Frankreich auch so ihre Mühe, die EU-Erweiterung zu verdauen. Nach der Erweiterung wird diskutiert, wo die Grenzen des neuen Europa eigentlich liegen – auch im Regierungslager: Während Präsident Jacques Chirac der Türkei eine langfristige EU-Mitgliedschaft zumindest in Aussicht stellte, lehnt der derzeitige Vorsitzende der Regierungspartei UMP, Alain Juppé, dies ab. Auch kann sich Staatschef Chirac keinesfalls sicher sein, dass sich die Franzosen für eine EU-Verfassung aussprechen würden, falls über das Vertragswerk in einem Referendum abgestimmt würde. Chirac will offenbar erst den Ausgang der Europawahl abwarten, bevor er über ein Referendum entscheidet.

Nach einer Anfang Mai veröffentlichten Umfrage der EU-Kommission befürworten in den „alten“ 15 EU-Staaten aber immerhin 48 Prozent der Befragten die Verfassung. Bei den EU-Neulingen betrachten nur 43 Prozent die EU-Mitgliedschaft als „eine gute Sache“.

Von europäischer Einigkeit kann auch beim Blick auf die Parteienlandschaft keine Rede sein: Insgesamt 183 Parteien stellen sich in den 25 Ländern den Wählern. Allein in Polen konkurrieren knapp 1900 Kandidaten aus 19 Listen um die 54 polnischen Sitze im Straßburger Parlament. Sieben Parteien haben dort gute Aussichten, am 13. Juni mehr als fünf Prozent der Stimmen zu bekommen.

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