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Hier geht's lang: Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella - hier beim Antrittsbesuch der neuen Präsidentin der zweiten Parlamentskammer, Maria Elisabetta Alberti Casellati - hat in Sachen Regierungsbildung ein gewichtiges Wort mitzureden.

© Reuters

Regierungsbildung in Italien: Jetzt ist der Präsident gefragt

Einen Monat nach der Parlamentswahl wird es ernst mit der Regierungsbildung in Italien. Der Staatspräsident beginnt heute seine Konsultationen mit den Parteien.

Die beiden Kammern haben ihre Chefs inzwischen: Seit einer guten Woche ist Roberto Fico als Präsident des Abgeordnetenhauses gewählt, an der Spitze des Senats amtiert Maria Elisabetta Alberti Casellati. Ein Mann der "Fünf Sterne-Bewegung", der eine, die andere eine Altgediente von Berlusconis "Forza Italia". Normalerweise ist die Wahl der Parlamentspräsidien der Hinweis darauf, wer sich später zu einer Regierung mit wem zusammenrauft. Nicht diesmal. Wenn ab heute Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella die Parteien zu sich auf den Quirinalshügel bittet, um die Möglichkeiten für eine neue Regierung in Rom auszuloten, ist das Ergebnis weiter so offen, wie die Parlamentswahl vor genau einem Monat es ließ.

Ex-Chef Renzi schwört die Sozialdemokraten auf ein Nein ein

Die Wahl hat nämlich neben etlichen Verlierern gleich mehrere Siegerinnen produziert: Im halblinken Lager stürzte der sozialdemokratische "Partito Democratico" (PD) noch unter den Prozentanteil der deutschen Genossinnen und Genossen vom September ab, im rechten machte Berlusconis FI schlapp - beide verloren je etwa ein Drittel ihres Wähleranteils von 2013. Als Wahlsiegerin kann sich die Rechte dennoch bezeichnen. Mit einigen verbündeten rechten Kleinparteien und wegen des Erfolgs der einst fremdenfeindlichen "Lega", die ihren Anteil vervierfachte, kam das Rechtsbündnis, in dem FI bisher die stärkste Kraft war, am 4. März auf einen Anteil von 37 Prozent.

Doch die große Siegerin ist die populistische "Fünf-Sterne-Bewegung", die Gründung des früheren TV-Entertainers Beppe Grillo: Sie konnte ihren Überraschungserfolg bei der letzten Wahl - damals kam sie vier Jahre nach ihrer Gründung aus dem Stand auf rund 25 Prozent - noch einmal überbieten und liegt nun mit weitem Abstand zu allen anderen Parteien bei knapp 33 Prozent. Kompliziert wird die Lage noch zusätzlich dadurch, dass die Bündnisse niemanden binden: Die 40 Prozent, die für eine Regierungsmehrheit nötig sind, könnte die Rechte mit den knapp 19 Prozent des PD schaffen - schon in der letzten Legislaturperiode regierten PD-Premierminister mit einer FI-Abspaltung.

Aber die Lega - die dies freilich bisher ausschließt - könnte auch aus dem Rechts-Bündnis ausscheren und sich mit den Fünf Sternen verbünden. Auf den ersten Blick sieht es danach im Augenblick aus: Nicht nur haben sich die Chefs von Lega und M5S, Matteo Salvini und Luigi Di Maio, schon gemeinsam auf die Parlamentspräsidenten geeinigt. Der geschrumpfte PD will nach wiederholtem eigenen Bekunden auf keinen Fall das Zünglein an der Waage spielen und mitregieren. Das Ergebnis sei eindeutig, die Wählerinnen und Wähler hätten die Partei "in die Opposition geschickt".

Der entschlossenste Vertreter des Nein ist Ex-Parteichef Matteo Renzi. Er trat kurz nach der Wahlschlappe zurück, spielt im PD aber weiter die Rolle der Grauen Eminenz. In seiner Osterbotschaft am Gründonnerstag schwor er die Seinen noch einmal darauf ein: "Die politische Situation ist eindeutig: Der PD wird in die Opposition gehen." Rechte und Fünf Sterne würden sich früher oder später schon einig, postete Renzi auf seiner Website. Alle institutionellen Schritte gingen sie ja jetzt schon miteinander - ein Seitenhieb auf die Einigung für Kammer und Senat.

"Parlament oder Kindergarten?"

Doch von einer Vorentscheidung für ein Bündnis auf längere Frist wollen zumindest die Fünf Sterne nichts wissen: Man habe mit der Besetzung der Spitzenämter im Parlament ein Beispiel von Offenheit und Verantwortung gegeben, mit einer künftigen Regierung habe das gar nichts zu tun, betont M5S immer wieder. Tatsächlich wäre das Zusammengehen mit der rechtsradikalen Lega ein Risiko für die Neulinge. Sie legen zwar Wert darauf, Lagerlogiken zu vermeiden, stehen in der Migrations- und Europapolitik eher rechts, in der Sozial- und Umweltpolitik links.

Ihren Erfolg aber haben sie Millionen enttäuschter PD-Anhänger zu verdanken, die am 4. März aus Protest entweder nicht wählen gingen oder ihr Kreuz bei den Fünf Sternen machten. Entsprechend wenig Verständnis hat man auf der Linken für die klare Weigerung des Renzi-Lagers, sich mit den Neuen zusammen zu tun: Es sei zwar "absolut legitim", auf die Regierungsbänke zu verzichten, schreiben im Polit-Monatsmagazin "MicroMega" der Verfassungsrechtler Francesco Pallante und der Kunsthistoriker Tomaso Montanari. Die Gründe, die der PD dafür anführe, könne man allerdings unmöglich teilen.

Abgesehen davon, dass der PD selbst jahrelang mit der Rechten regiert habe, offenbare der Renzi-Flügel auch "grundsätzliche Unwissenheit über elementare Mechanismen des Parlamentarismus". Die wichtigsten Gesetze der italienischen Nachkriegsgeschichte, von der Verstaatlichung der Energie-Versorgung und die Schulreform Anfang der 1960er Jahre bis zu Ehescheidung und Abtreibung in den 1970ern, seien durch Kompromisse und Zusammenarbeit zwischen geschworenen Gegnern zustande gekommen, damals Kommunisten und Christdemokratie. "Antipathie zwischen Parteien?" fragen die Autoren: "Reden wir hier über das Parlament oder über einen Kindergarten?"

Staatspräsident mit Gewicht

Inzwischen diskutiert auch der PD selbst immer heftiger, ob man sich den eigenen politischen Erben nicht doch öffnen soll - bis in die Parteispitze hinein. "Es reicht nicht zu sagen, jetzt sind die andern dran", grummelte kürzlich Noch-Justizminister Andrea Orlando. "Und festzustellen, dass man unterschiedliche politische Sichtweisen hat, ist auch noch keine politische Linie." Zuvor hatten sich bereits der Gründungsvorsitzende des PD, Walter Veltroni, und der amtierende Kulturminister Dario Franceschini, auch er ein früherer PD-Vorsitzender, für den Dialog ausgesprochen.

Alles spricht dafür, dass Präsident Mattarella - ähnlich wie in Deutschland - diesen Dialog nicht nur in Schwung bringt, sondern am Ende eine neue italienische Regierung auf die Beine stellt. Italiens Staatsoberhaupt hat mehr Mittel als der deutsche Bundespräsident, er kann entscheiden, wen er als Premier einsetzt, und auch Neuwahlen ansetzen, wenn das neue Parlament seinen Aufgaben nicht nachkommt. Mattarellas Vorgänger Giorgio Napolitano hatte von seinen Möglichkeiten exzessiv Gebrauch gemacht. Siegerinnen und Besiegte der letzten Wahl stehen also ab heute unter Druck.

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