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Finanzinvestoren wie Goldman Sachs haben eigentlich keinen guten Ruf in der SPD. Der frühere Parteichef verglich sie schon mal mit Heuschrecken: „Sie grasen ab und ziehen weiter.“

© Justin Lane/p-a/dpa

Jörg Kukies, der Staatssekretär von Goldman Sachs: Seitenwechsel mit Fragezeichen

Olaf Scholz holt den Goldman-Sachs-Mann Jörg Kukies als Staatssekretär in das Bundesfinanzministerium. Wofür steht der Banker? Welchen beruflichen Hintergrund hat er?

Leise grummelt es in der SPD, doch die Devise heißt offenbar: Mal sehen, wie dieser Banker sich macht. Die Entscheidung des neuen Bundesfinanzministers Olaf Scholz, Jörg Kukies zum beamteten Staatssekretär in seinem Ressort zu machen, den bisherigen Co-Chef der deutschen Niederlassung von Goldman Sachs, hat die Linken in der Partei verwundert und den Koalitionspartner auch. Doch will bei den Sozialdemokraten niemand den Übergangsparteichef offen angehen wegen einer Personalie in der zweiten Reihe. Man müsse im Investmentbanking nicht gleich den Antichrist sehen, heißt es zum Beispiel.

Aber SPD und Goldman Sachs, das ist gewöhnungsbedürftig – auch wenn Kukies, Jahrgang 1968, mal Juso-Chef in Rheinland-Pfalz war und sein Parteibuch noch besitzt. Immerhin haben sich die deutschen Sozialdemokraten von der Branche der üppig bonierten Golduhrenträger nicht ganz so beeindrucken lassen wie zum Beispiel die britische Labour Party unter Tony Blair – da war dann bei aller Begeisterung für den smarten Premierminister doch die knorrige „Heuschrecken“-Aversion eines Franz Müntefering prägender.

Jörg Kukies.
Jörg Kukies.

© dpa

Man weiß wenig über den neuen Staatssekretär von der berühmt-berüchtigten New Yorker Investmentbank, der von dieser Woche an im Dienste der Bundesrepublik wirken soll. Irgendwann scheint ihn nach seinen Juso-Jahren eine Faszination gepackt zu haben für die technische Seite des Geldgeschäfts. Promoviert hat Kukies an der University of Chicago, einer privaten Elitehochschule, deren Wirtschaftsfakultät als erstklassig gilt – aber auch als Hort und Mekka der Anhänger einer möglichst freien Marktwirtschaft.

Kukies beschäftigte sich mit Aktienmärkten, was dann direkt zum Job bei Goldman Sachs führte, wo er sich von Beginn an mit strukturierten Produkten befasste, also Derivaten – jenen „Wunderwaffen“ der modernen Finanzbranche, ein Ergebnis der Deregulierung der Banken und Geldinstitute, mit der vor allem Ronald Reagan und Margaret Thatcher ihren ins Dümpeln geratenen Volkswirtschaften wieder zu mehr Wachstum verhelfen wollten. Das gelang auch, weshalb Deregulierung und das Derviatengeschäft immer weiter um sich griff, bis die Blase platzte und letztlich zur globalen Finanzkrise seit 2007 führte.

Karriere während der Finanzkrise

Während die Finanzkrise ihren Lauf nahm, machte Kukies Karriere bei Goldman Sachs. Bis 2011 war er Leiter der Wertpapierabteilung für Deutschland und Österreich in Frankfurt am Main, danach stand er in London der für Europa, den Nahen Osten und Afrika zuständigen Abteilung für Aktienderivatgeschäfte vor. Nachdem er schon 2010 zum Partner bei Goldman aufgestiegen war, kam er 2014 an die Spitze der deutschen Niederlassung. Schon Jahre vorher hatte ihn die US-Webseite „Business Insider“ zu den künftigen Stars von Goldman Sachs gezählt. Aber er blieb stets im Hintergrund.

In Frankfurt machte er kaum von sich reden, die Journalisten am deutschen Zentralfinanzplatz wissen wenig über ihn zu berichten. Interviews sind rar, eines davon machte jetzt nachträglich die Runde, weil Kukies in der „Frankfurter Allgemeinen“ Ende 2015 einige Prognosen für Aktienmärkte und Währungskurse wagte, die sich dann weitgehend nicht erfüllten. Leute, die ihn von früher kennen, beschreiben ihn als einen, der sich die Zigarre nicht mit einer Hundert-Euro-Note anzünden würde.

Strukturierte Produkte

Für strukturierte Produkte zuständig zu sein, heißt noch nicht, auch alle dubiosen Geschäftspraktiken mitgemacht oder gebilligt zu haben. Denn das Geschäft mit Derivaten ist janusgesichtig: Einerseits können sie der Absicherung dienen, andererseits auch als „Zockerprodukte“ zur wundersamen Geldvermehrung oder eben zum Mischen von soliden und anfälligen Anlagen – entsprechend ist die Risikoskala bei diesen Papieren nach oben offen. Das Geschäftsmodell von Goldman Sachs sei darauf ausgelegt, „Grenzen genau auszuloten und dabei schneller und schlauer zu sein als Regulierer und Konkurrenten“, schrieb die „Wirtschaftswoche“ einmal.

Zu den wenig erbaulichen Kapiteln in der Unternehmensgeschichte gehört, vor Kukies‘ Zeit, dass Berater der Investmentbank der griechischen Regierung halfen, die Schuldenlast des Landes vor dem Beitritt zum Euro über eine dubiose Transaktion zu verschleiern. Als später offenbar wurde, wie tief Athen tatsächlich im Schlamassel steckte, trieb das den Euro in die Krise. In den USA gibt es eine Tradition, dass Goldman-Leute in die Politik wechseln (und wieder zurück) – bisweilen sind die Umstände zweifelhaft.

Der einstige Bankchef Hank Paulson war Finanzminister unter George W. Bush und schrieb Geschichte mit seiner Entscheidung, Stützungsmaßnahmen zu verweigern, als sich am Beginn der Finanzkrise die Pleite der New Yorker Bank Lehman Brothers abzeichnete, einer Hauptkonkurrentin von Goldman Sachs. Danach begann jene fatale Entwicklung, dass die Banken, misstrauisch geworden, sich kein Geld mehr untereinander liehen – ein Katalysator der Krise.

Verantwortlich für Finanzmärkte

Die Frage lautet: Wie weit setzt Kukies seine detaillierten Kenntnisse und Erfahrungen zum Nutzen der Allgemeinheit ein und wie weit zum Nutzen der früheren Arbeitgeberbranche? Immerhin wird er für den Bereich der Banken- und Finanzmarktregulierung verantwortlich sein. Immerhin wird er für den Bereich der Banken- und Finanzmarktregulierung verantwortlich sein. Auch war der Banker dafür zuständig, die Digitalisierung des Finanzgeschäfts von Goldman Sachs voranzutreiben, ein Projekt mit Chancen und Risiken.

Den Trend zur Automatisierung des Handels mit Aktien, Rentenpapieren oder Derivaten führte er in einem Interview im vorigen Jahr auch auf die „regulatorischen Anforderungen“ zurück. Staatliche Eingriffe sind ein Kostenfaktor, die Branche reagiert darauf mit weiterer Digitalisierung, und die wiederum reizt die Aufsichtsbehörden wieder zu mehr Regulierung. Die Kritik, dass Scholz mit der Ernennung von Kukies den Bock zum Gärtner gemacht habe, setzt genau hier an. Freilich ist die Bestallung des Goldman-Sachs-Managers keine völlig beispiellose Personalie.

Schon unter Wolfgang Schäuble wurde 2011 Levin Holle, ein früherer Manager der Boston Consulting Group, einer auch im Finanzbereich engagierten Unternehmensberatung, Leiter der Abteilung Finanzmarktpolitik, der nun Kukies vorstehen wird.

Beeinflusst vom Star-Ökonomen?

Interessant ist immerhin, dass Kukies 2001 bei einem Mann promoviert hat, der in den vergangenen Jahren zu einem der weltweit führenden Ökonomen aufstieg. Der Inder Raghuram Rajan, zwischenzeitlich Zentralbankchef in seinem Heimatland und nun wieder Professor in Chicago, hielt schon 2005 die Finanzkrise und das Erliegen des Interbankenhandels für möglich, weil er aufgrund der massiven Überschuldung der US-Haushalte von einer Kreditblase ausging.

Die ging seiner Meinung nach darauf zurück, dass die amerikanische Politik und die Notenbank Fed unter Alan Greenspan jahrelang über eine Niedrigzinspolitik und den Zugang breiter, oft gar nicht kreditwürdiger Schichten zu günstigen Krediten für Immobilien die Wirtschaft flottmachen wollten. Den US-Arbeitnehmern sollte über die Billigkredite zudem darüber hinweggeholfen werden, dass ihre Realeinkommen in der Globalisierung stagnierten oder sogar sanken. Eine solche Politik schuldengetriebenen Wachstums aber hält Rajan für falsch, weil sie nicht nachhaltig sei.

Den westlichen Staaten hielt er schon vor Jahren vor, es sei nicht möglich, sich einfach durch mehr Schulden und ein kurzfristiges Hochfahren von Investitionen aus dem Sumpf zu befreien, was klassische Keynesianer empörte. Rajan empfahl stattdessen, vor allem den USA, mit Maßnahmen für ein langfristiges, nachhaltiges Wachstum zu beginnen, wozu er nicht zuletzt eine bessere Bildung der Arbeitnehmer und die Förderung neuer Branchen zählte. Ländern wie Griechenland und Italien empfahl er, ihren überdehnten Staatssektor abzubauen. Statt Steuern zu erhöhen, sollten Vergünstigungen und Steuersubventionen abgebaut werden.

Von einer Rückkehr zur starken Regulierung des Banken- und Finanzsektors wie vor 1980 riet er ab, auch wenn er das Verhalten der Branche vor der Krise als „teilweise kriminell“ bezeichnete. Das Eingehen „exzessiver Risiken“ müsse aber unterbunden werden. Die Anreizmechanismen in der Finanzbranche müssten entsprechend geändert werden.

Wie weit Kukies auch so denkt, ist unklar. Schäuble hat Rajan gelegentlich in Reden zustimmend zitiert. Liest man die Beiträge des indischen Ökonomen der vergangenen Jahre, tun sich unverkennbar Parallelen zur Linie des Bundesfinanzministeriums in der Haushalts-, Finanzmarkt- und Europapolitik auf. Scholz hat in seiner Regierungserklärung im Bundestag im März deutlich gemacht, dass er in der Schulden- und Etatpolitik auf Kontinuität setzen will.

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