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Joschka Fischer: „Bundeswehr wird im Süden Afghanistans kämpfen“

Die Bundeswehr wird nach Ansicht des ehemaligen deutschen Außenministers Joschka Fischer in absehbarer Zeit auch im besonders gefährlichen Süden Afghanistans kämpfen müssen. Nach dem bevorstehenden Regierungswechsel in den USA werde sich die Bundesregierung entsprechenden Forderungen der Nato-Verbündeten nicht mehr länger verschließen können, sagte Fischer dem Tagesspiegel in Toronto.

„Mit einer neuen US-Regierung werden wir früher oder später auch im Süden kämpfen – aber wir werden immer noch die Bösewichte sein, die eine gute Möglichkeit verpasst haben, das aus eigener Initiative zu tun“, sagte Fischer am Freitagabend bei einem Besuch im Munk-Zentrum für internationale Studien der Universität Toronto. Der ehemalige Außenminister und Grünen-Politiker sieht es als als einen der „großen Fehler“ der Merkel-Regierung, dass Deutschland sich in den vergangenen zwei Jahren gegen Forderungen von Nato-Partnern wie Kanada und den USA gesperrt hat, die Bundeswehr statt nur im wenig umkämpften Nordens Afghanistans auch im von Taliban und Al-Qaida-Kämpfern dominierten Süden einzusetzen.

Ein neuer US-Präsident, gleich welcher Partei, werde die Deutschen viel stärker in die Pflicht nehmen. „Die nächste amerikanische Regierung wird da ganz anderen Druck machen als es Bush noch vermag,“ sagte Fischer. Er fordert von der Bundesregierung und den Nato-Verbündeten eine andere Strategie, um die Lehren aus den vergangenen sechs Jahre des Afghanistan-Einsatzes zu ziehen.

So hätten Deutschland und die EU bis heute schlicht „keine Pakistan-Politik“, obwohl der Nachbarstaat Afghanistans für drei Viertel aller Probleme in dem kriegszerstörten Land verantwortlich sei und sich zunehmend zur Basis für islamistische Al-Qaida-Kämpfer entwickelt habe. „Wir brauchen eine Nach-Petersberg-Vereinbarung“, sagte Fischer mit Bezug auf die Konferenz am Petersberg bei Bonn, bei der nach den Terroranschlägen 2001 und dem folgenden Afghanistankrieg der USA und ihrer Verbündeten die Zukunft des Landes geplant wurde.

Damals sei weder die problematische Rolle von Nachbarstaaten wie Pakistan ausreichend berücksichtigt worden, noch sei die „selbstverursachte Schwäche“ der USA durch den 2003 begonnenen Irakkrieg absehbar gewesen. Fischers Ansicht nach sollte die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel diesen neuen Petersberg-Prozess starten: „Ich würde ihr raten, intiativ zu werden,“ sagte er dem Tagesspiegel. Zugleich schränkte der Ex-Minister aber ein: „Sie wird es aber nicht tun, weil dann wieder die Frage kommt: Geht Ihr in den Süden?“ Angesichts des bevorstehenden Bundestagswahljahres 2009 sei eine solche Debatte kaum im Interesse der Bundesregierung. Dennoch sei sie in der Pflicht, gemeinsam mit den anderen Staaten der EU eine gemeinsame Linie zu finden und sich stärker militärisch in Afghanistan zu engagieren.

Beim letzten Nato-Gipfel Anfang April in Bukarest sei über die neuen Herausforderungen in Afghanistan nicht geredet worden, was Fischer vor allem mit der Uneinigkeit der Europäer und den unterschiedlichen innenpolitischen Beschränkungen des Afghanistan-Einsatzes erklärt. Deswegen sei es unvermeidlich, dass die Europäer langfristig ihre nationalen Souveränitäten „bündeln“, damit sie in Afghanistan gemeinsam agieren können, sagte Fischer, der von 1998 bis 2005 Außenminister und Vizekanzler der rot-grünen Koalition unter Kanzler Gerhard Schröder war und jetzt eine Politikberatungsfirma in Berlin führt.

Fischer apellierte an die Bundesregierung, das Ziel des Afghanistan-Einsatzes gegenüber der Bevölkerung offensiver zu vertreten: „In Deutschland hat man vergessen, wieso wir eigentlich da sind.“

Deswegen müsse die Bundesregieurng deutlich machen, dass der Krieg eine Reaktion auf die Terroranschläge in den USA im September 2001 war – Anschläge, wie sie nach Fischers Erwartung „wieder passieren werden“, wenn der Kampf gegen die Reste der afghanischen Taliban-Herrschaft und der terroristischen Al-Qaida-Kämpfer keinen Erfolg habe. So warnt Fischer vor zunehmenden Forderungen nach einem Abzug der Nato-Truppen aus Afghanistan. „Zuhause kann man damit fast hundert Prozent Unterstützung bekommen – aber die Menschen in Afghanistan wollen, dass wir bleiben, weil sie wissen, was die Alternative wäre“, sagte Fischer im Hinblick auf Menschenrechtsverletzungen unter dem Taliban-Regime und auf machtpolitische Interessen der Nachbarstaaten Pakistan und Iran sowie Russlands.

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