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Politik: Juncker-Land in Bauernhand

Frankreich kam seinen Partnern bei der Agrarhilfe sogar ein wenig entgegen – doch Blair blieb hart

Es war der bewegendste Moment dieses an Turbulenzen und Dramatik reichen Gipfeltreffens. Selbst die in vielen Verhandlungen hartgesottenen Politiker konnte diese Geste nicht kalt lassen: Als die Briten in der Nacht zum Samstag mit eisiger Härte erklärten, dass sie zu keinem Kompromiss, zu keinem Abstrich an ihrem von Margaret Thatcher vor 20 Jahren erkämpften Beitragsrabatt bereit seien, da versuchten die Osteuropäer mit einer anrührenden Initiative den EU-Gipfel in letzter Minute zu retten. Sie, die Armen im Club der 25, erklärten sich bereit, auf Gelder zu verzichten, damit das reiche Großbritannien weiter jedes Jahr den Milliarden-Rabatt aus Brüssel erhalten kann.

„Ich habe mich geschämt, geschämt für Europa“, sagte der luxemburgische Premierminister und amtierende EU-Ratspräsident Jean-Claude Juncker nach Ende der blamablen Veranstaltung. Er hatte bis zuletzt alles versucht, um eine Einigung der 25 Staats- und Regierungschefs auf einen vernünftigen mittelfristigen EU-Finanzrahmen bis 2013 zustande zu bringen – vergeblich. „Es war ein geradezu pathetischer Moment“, kommentierte Jacques Chirac das Rettungsangebot der zehn Neuen, das niemand annehmen wollte. Zu dieser vorbildlichen Haltung stehe der „nationale Egoismus von zwei, drei reichen EU-Ländern“ in scharfem Kontrast. „Es war beschämend, dass diejenigen, die am ärmsten sind, ein Opfer bringen wollten“, sagte auch Gerhard Schröder sichtlich beeindruckt vom europäischen Gemeinschaftsgeist der neuen Mitglieder im Europäischen Rat. Dabei stand Jean-Claude Juncker, der als der erfahrenste Verhandlungsführer in der EU gilt, in dem 16-stündigen Verhandlungsmarathon schon kurz vor dem Durchbruch. So politisch heikel, so schwierig und kompliziert diese Finanzplanung der EU für die nächsten sieben Jahre auch ist – „bei gutem Willen aller wäre ein Ergebnis möglich gewesen“, meint auch der Kanzler.

Im so genannten Beichtstuhlverfahren, Einzelgesprächen des EU-Ratspräsidenten mit den Hauptbeteiligten, versuchte Juncker schon am frühen Freitagnachmittag auf den Kompromiss einzuschwören. Die Mehrheit der Regierungschefs, das zeigte sich schnell, unterstützte ihn auch tatsächlich. Kurz nach 16 Uhr fuhren Jacques Chirac und Schröder dann getrennt in das Hotel Amigo in der Innenstadt, wo sie beide während des EU-Gipfels logieren. Chirac lud im Hotel einen kleinen Kreis von französischen Journalisten zum Gespräch und erklärte ihnen, dass er nicht mehr darauf beharre, der Briten-Rabatt müsse völlig abgebaut werden. Er sei einverstanden, wenn das britische Privileg aus vergangene Zeiten auf der gegenwärtigen Höhe eingefroren werde.

Außerdem sei er bereit, eine weitere Kürzung des EU-Agrarbudgets zu akzeptieren: Rund sechs Milliarden Euro in den kommenden sieben Jahren. Damit war der französische Präsident hart an die Schmerzgrenze gegangen. Zurück im EU-Ratsgebäude im Europaviertel, unterbreiteten Juncker, Schröder und Chirac dem britischen Premierminister den neuen Kompromissvorschlag. Blair lehnt erneut kühl ab.

Juncker gab dennoch nicht auf. Er rief seinen Pressesprecher an, ihm doch bitte drei Schachteln Zigaretten zu bringen – ein Hinweis für alle, dass es spät werden wird. Dann ging er wieder in Einzelgespräche mit den anderen Regierungschefs, die an seinem Kompromissvorschlag noch einzelne Punkte auszusetzen hatten: Vor allem die Niederländer, die netto stärker entlastet werden wollten, die Schweden, die Spanier, die Finnen, die Italiener und die Dänen. Gegen Mitternacht hielt Juncker dann den Zeitpunkt für gekommen, in einer gemeinsamen Schlusssitzung den Durchbruch zu wagen. Doch bevor die Sitzung zu Ende war, ging der britische Regierungssprecher schon durch die Reihen der Journalisten und ließ wissen, dass der letzte Juncker-Vorschlag „für Großbritannien total unakzeptabel ist“. Das Gipfeltreffen war gescheitert.

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