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Angela Merkel bei ihrer Sommerpressekonferenz

© REUTERS

Kanzlerin und Flüchtlingskrise: Angela Merkels Kritiker liegen falsch

Das Mäkeln an der Kanzlerin ist so populär wie wohlfeil. In der Flüchtlingskrise handelte sie humanitär - und zeigte so Verantwortung. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Accessoires, zum Beispiel modische Broschen oder schicke Schals, nein, auch so was hat Angela Merkel nicht. Die neue Premierministerin der Brexit-Insel, zum Beispiel, hat mit ihrem Hang zu schriller Schuhmode etwas Originelles an sich. Merkel? Verzichtet auf derlei. Was die Kanzlerin alles nicht hat, nicht tut, nicht sagt, nicht ist, davon zeigt sich die Öffentlichkeit seit ihrem Amtsantritt fasziniert. Ihr fehlte die perfekte Frisur, die elaborierte Rhetorik, das joviale Geplauder, das spontane Reagieren, das forsche Drauflosregieren. Kurzum, ihr fehlte allerhand.

Gleichwohl, die Politikerin erwies sich als frappierend stabil. Kollegen, Medienleute, Wirtschaftsbosse kamen und gingen, Angela Merkel blieb. Der Wirtschaft geht es gut im Land. Arbeitslose hat es heute so wenig wie zuletzt vor einem Vierteljahrhundert. Couragiert suchte Merkel samt ihren Koalitionären den Weg zu erneuerbaren Energien, zur Bundeswehr als Berufsarmee. Wer hätte das alles geahnt?

Sie verlor nicht den Kopf und nicht ihr Herz

Als Mitte 2015 die große, panische Mobilität einsetzte und Massen vor Krieg und Armut flohen, verlor die Kanzlerin nicht den Kopf und nicht ihr Herz. Ob es mehr ihrem Protestantismus zu verdanken war oder mehr ihrem Ohr für den Wunsch der Industrie nach günstigen Arbeitskräften – wie es damals war, als die „Gastarbeiter“ ins Land geholt wurden – das weiß nur sie selbst. Am ehesten war es wohl eine Kombination beider Erwägungen.

Als dann im September 2015 an der ungarischen Grenze Tausende Gestrandete in Not auf der Straße, auf Gleisen saßen, verhinderte Merkel eine humanitäre Katastrophe, indem sie die Grenze öffnen ließ, was in der Lage auch ohne Bundestagsvotum gerechtfertigt war. Etwa fünf Wochen lang durften Flüchtende unregistriert einreisen. Seither schnitzt eine Anti-Merkel-Brigade, besonders deren xenophober Teil, aus diesen Tagen ihre Giftpfeile. Umgemünzt wurden die abstoßenden Übergriffe der Kölner Silvesternacht zum direkten Resultat der humanitären Handlung im vergangenen September – auch wenn die Täter längst hier gelebt hatten.

Nach den Attacken von Würzburg und Ansbach, nach dem tragischen Amoklauf eines gestörten Jungen in München, brach teils unverhohlene Schadenfreude aus: „Das haben wir jetzt von Merkels Politik!“ Nicht einer der Delinquenten war illegal oder unregistriert hier. Die allermeisten der kriminellen Islamisten in Europa sind Kinder Europas, hier geboren, auch in Deutschland.

Dennoch rumpelt Horst Seehofer oder unlängst Markus Söder auf der bayerischen Kabinettsklausur am Tegernsee, nun müsse es endlich „wir tun was" heißen statt „wir schaffen das“. Hubert Aiwanger, Bundesvorsitzender der Freien Wähler, dröhnt gar, es sei Merkels „politisches Versagen, Millionen von Menschen grundgesetzwidrig ins Land zu lassen“ – wovon kein Wort wahr ist und keines konstruktiv. Große Skepsis offenbart auch der jüngste ARD-Deutschlandtrend, in dem Merkels Beliebtheitswert innerhalb eines Monats um zwölf Prozentpunkte abgestürzt ist – mehr als die Hälfte der Deutschen ist mit ihrer Arbeit demnach nicht zufrieden.

Merkel bleibt klar und deutlich Demokratin

Da mag der Koalitionspartner SPD das „populistische Störfeuer auf Frau Merkel" beklagen, die wilden Pfefferstreuer überwürzen, was das Zeug hält. Auf der Sommerpressekonferenz fragte ein Parlamentsreporter die Kanzlerin, was noch „passieren“ müsse, damit sie „einem Neustart der Politik in Deutschland und Europa“ nicht mehr im Weg stehe. Also, wann sie den Platz räume. Sein Satz wurde tausendfach kolportiert. Ein verirrter „Neustart“ hat mit Leuten wie Marine Le Pen, Viktor Orbán, Geert Wilders oder Boris Johnson durchaus begonnen. Während aber durch ganz Europa ein Siegeszug der Rechtsparteien fegt, bleibt Merkel klar und deutlich Demokratin.

Ja, Merkel macht Fehler. So nervenstark, uneitel, strukturiert sie ist, an ihr ist mehr von einer Taktikerin als einer Visionärin. Ja, die Regierung müsste erheblich mehr investieren in Integration, Bildung und Prävention des islamistischen und rechten Fundamentalismus. Aber die Kritiker irren. Weder Naivität noch Machtgier treiben sie an. Purer Genuss an der Macht ist, siehe etwa Berlusconi oder Trump, mit purem Fehlen an Verantwortung verbunden. Und das ist etwas, das Merkel nicht fehlt: Verantwortung.

Wie es ist, morgens aufzustehen, um konkret verantwortlich auf die Konfrontation mit einem weiteren Tag in der aktuellen Weltlage gefasst zu sein, auf Putin, Erdogan, Trump, Syrien, Darknet, Doping, VW, den ganzen Irrsinn da draußen, das können nur wenige andere nachvollziehen. Eine Ahnung davon dürften aber auch andere haben. Respekt davor schon auch.

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