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Politik: Kapitalismus in der Volksrepublik

Chinas Parlament will zum ersten Mal ein Eigentumsgesetz verabschieden – vor allem linke Kritiker laufen dagegen Sturm

Fünf Jahre hatte man diskutiert, sieben Mal wurden die Entwürfe geändert: Auf dem Volkskongress, der am Montag mit rund 3000 Delegierten seine jährliche Plenartagung in Peking beginnt, soll Chinas erstes zivilrechtliches Eigentumsgesetz verabschiedet werden. So will es die KP-Führung um Staatspräsident Hu Jintao und Premier Wen Jiabao. Doch Chinas Linke protestierten und lösten eine Grundsatzdebatte aus: Wie kapitalistisch soll die Volksrepublik in Zukunft sein?

Chinas Linke und Altmarxisten, denen die wirtschaftliche Öffnung ohnehin viel zu schnell geht, laufen seit Jahren Sturm gegen das Vorhaben. Das Gesetz, das erstmals seit 1949 privates Eigentum zivilrechtlich schützt, die Verwertung regelt und bei Enteignungen „angemessene“ Entschädigungen vorschreibt, ist in ihren Augen unsozial und ein Verrat am Sozialismus. „Der Grundsatz des Entwurfes verstößt gegen die Verfassung. Das Kernprinzip, nach dem das Staatseigentum heilig und unverletzbar ist, wird damit annulliert“, schrieb der Pekinger Rechtsprofessor Gong Xiantian.

Zahlreiche Linke, darunter hohe Beamte, Gouverneure und Diplomaten, schlossen sich der Kritik in einem offenen Brief an. Sie befürchten, dass mit dem Gesetz die Kluft zwischen Armen und Reichen noch weiter wachsen könnte. Für Chinas Marxisten ist der Kampf gegen das Gesetz das letzte Gefecht. Mit der wirtschaftlichen Öffnung der vergangenen Jahre ist ihr Einfluss immer mehr geschwunden. Sie mussten zuschauen, als die KP vor fünf Jahren Unternehmer und Kapitalisten – einst die Klassenfeinde – als Mitglieder akzeptierte und 2004 den grundsätzlichen Schutz des Privateigentums in der Verfassung festschrieb.

Pekings Regierung und Rechtsgelehrte verteidigen das Gesetz als einen längst fälligen Schritt in Richtung einer kapitalistischen Marktwirtschaft. Allerdings können es sich auch die Befürworter nicht leisten, öffentlich dem Sozialismus abzuschwören. „Die diversen wirtschaftlichen Eigentumsverhältnisse sind ein großer Fortschritt der sozialistischen Bewegung. Diese Formen müssen mit einem Gesetz stabilisiert werden“, erklärte Wang Jiafu, Professor an der Akademie der Sozialwissenschaften. Das Recht auf Eigentum sei ein „Grundrecht des Menschen“, das es zu schützen gelte, betont der Wissenschaftler.

Der Streit ist eine Grundsatzdebatte. Auf das Leben der Chinesen, die heute schon Wohnungen und Autos besitzen und ihr Geld am Aktienmarkt investieren dürfen, hat das neue Gesetz kaum Einfluss. Vor dem großen Parteitag im Herbst, bei dem die Politik der nächsten fünf Jahre festgeschrieben wird, geht es vielmehr um die Grundrichtung des Landes: Soll China weiter wie bisher auf einen ungezügelten Kapitalismus setzen oder eher den Sozialstaat stärken? Trotz des Booms wächst die Arbeitslosigkeit in dem Land. Bis 2010 werde es zehn Millionen Arbeitslose geben, warnte Arbeits- und Sozialminister Tian Chengping. Millionen von Bauern und Wanderarbeitern, die in Fabriken und auf Baustellen an der Küste arbeiten, leben ohne Kranken- und Sozialversicherung am Existenzminimum.

Pekings KP-Mächtige können die Kritik der Linken deshalb nicht einfach übergehen. Bis zuletzt wurde an dem Gesetzentwurf gefeilt. Als ein formales Entgegenkommen an die Kritiker wird in dem Gesetz nun die Formulierung aus der Verfassung wiederholt, nach dem das Staatseigentum „heilig und unverletzbar“ ist. Dass das Gesetz am Ende verabschiedet wird, steht außer Frage. Chinas Volkskongress hat in seiner Geschichte bislang noch nie eine Regierungsvorlage abgelehnt. Allerdings wäre selbst eine hohe Zahl von Nein-Stimmen für Pekings Führer peinlich. In Einzelberatungen wurden die Delegierten deshalb vor dem Volkskongress auf das Gesetz eingeschworen.

Harald Maass[Peking]

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