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Unzufriedenheit. Proteste gegen die Regierung im Juli haben die Verabschiedung des Gesetzes beschleunigt.

© AFP

Wirtschaftsreformen in Kuba: Kapitalismus ohne Kapital

Die Wirtschaftskrise zwingt das Land zu Reformen. Die Regierung erlaubt jetzt die Gründung mittelständischer Privatunternehmen. Wird das funktionieren?

Es ist die wohl wichtigste Wirtschaftsreform, die es im kommunistischen Kuba in den vergangenen Jahrzehnten gegeben hat. Am Freitag beschloss der Staatsrat der Insel, dass die Kubaner ab nun kleinere und mittlere Unternehmen mit bis zu 100 Angestellten gründen dürfen.

Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel sagte, dass diese Firmen zur angestrebten „Transformation des Landes“ beitragen sollen. Tatsächlich hat die Reform das Potential, der Ökonomie Kubas, die von starren und oft vom Militär gelenkten Staatsunternehmen beherrscht wird, eine bislang unbekannte Dynamik zu verleihen.

Anders als häufig berichtet, ist das Gesetz jedoch keine Reaktion der Regierung auf die großen Demonstrationen, bei denen im Juli Tausende Menschen in ganz Kuba gegen die schlechte Versorgungslage sowie die politische Unfreiheit auf die Straße gingen. Allenfalls haben die Proteste die Einführung des „Gesetzes über Mikro-, Kleine und Mittlere Betriebe“ beschleunigt. Es war bereits seit 2016 in Planung, seine Verabschiedung wurde dann von der Corona-Pandemie verzögert.

Ein Vorbild für die Reform war überraschenderweise Deutschland. Die kubanische Führung habe sich bei der Planung stark für den deutschen Mittelstand und dessen tragende Rolle im Wirtschaftssystem der Bundesrepublik interessiert, sagt Marcel Kunzmann vom International Institute for the Study of Cuba an der University of Buckingham. Sie habe verstanden, dass kleine und mittlere Unternehmen breiten Wohlstand schaffen könnten, ohne die Vorherrschaft der Kommunisten zu gefährden.

Das neue Gesetz ist Teil eines breiter angelegten Reformprozesses. Bereits Anfang August hatte Kubas Regierung ein Landwirtschaftsgesetz verabschiedet, mit dem beispielsweise Preisobergrenzen für Agrarprodukte abgeschafft wurden und erstmals „die realen Kosten für den Produzenten anerkannt“ werden.

Firmen mit bis zu 100 Mitarbeitern

Die neuen Bestimmungen sind auch eine Fortführung der zarten wirtschaftlichen Öffnung Kubas, die bereits unter Raúl Castro eingesetzt hatte. Sie erlebte 2016 ihren vorläufigen Höhepunkt, als US-Präsident Barack Obama das 60 Jahre alte Wirtschaftsembargo gegen die Insel lockerte und Havanna besuchte.

Obama betrieb eine Art Sonnenscheinpolitik gegenüber Kuba, der jedoch sein Nachfolger Donald Trump bald den Garaus machte. Trump führte schärfere Sanktionen als jemals zuvor ein und schnitt Kuba praktisch von der Weltwirtschaft ab.

Der kubanische Präsident: Miguel Díaz-Canel.
Der kubanische Präsident: Miguel Díaz-Canel.

© Imago Images/Xinhua/Prensa Latina

Trumps Blockade sowie die jahrzehntelange sozialistische Misswirtschaft im Zusammenspiel mit der Corona-Pandemie waren dann die Hauptgründe für die zuletzt katastrophale Versorgungslage der Insel. Es fehlt insbesondere an erschwinglichen Konsumgütern, Lebensmitteln und Energie aber auch an medizinischem Material, etwa Spritzen, um die Impfkampagne gegen Covid-19 zu beschleunigen.

Konkret sieht das neue Gesetz nun vor, dass die Kubaner Firmen mit bis zu 100 Mitarbeitern gründen dürfen, deren Rechtsform wohl am ehesten der einer GmbH gleicht. Zwar gibt es auf Kuba bereits die sogenannten „cuentapropistas“, also Selbstständige, die besonders im Tourismus ihr Auskommen verdienen, sei es als Ferienwohnungsvermieter, Restaurant- oder Barbesitzer.

Aber der Spielraum der rund 600 000 Selbstständigen war stark begrenzt. So durften sie beispielsweise nur eine limitierte Zahl an Angestellten haben und zahlten für diese obendrein so hohe Steuern, dass sich ein Wachstum kaum lohnte.

Die kubanische Führung hat nun erkannt, dass sie die Wirtschaft des Landes flexibilisieren muss, wenn sie der Abwanderung von jungen, oft gut ausgebildeten Menschen sowie der wachsenden Unzufriedenheit mit der ökonomischen Situation etwas entgegensetzen will.

Bislang war den Kubanern privatwirtschaftliches Engagement lediglich in 127 der rund 2000 auf Kuba erfassten Berufe erlaubt. Jetzt dürfen sie sich in fast allen Bereichen engagieren und investieren. Ausgenommen bleiben Sektoren, die das kommunistische Regime für strategisch wichtig hält, etwa Medien, der Gesundheitsbereich, die Wasser- und Stromversorgung oder der Bergbau.

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Es bedeutet, dass die Kubaner nun Bauunternehmen, Landwirtschaftsbetriebe, Handwerksfirmen und Produktionsstätten gründen dürfen. Wichtig ist dabei auch, dass die Firmengründer ihre Zulassungen nicht mehr beim Arbeitsministerium in Havanna beantragen müssen, sondern dezentral bei lokalen Behörden. Es ist eine erstaunliche Flexibilität für kubanische Verhältnisse, die allerdings auch zu einer Zunahme der Korruption in einem Land führen dürfte, in dem staatliche Einheitslöhne gelten.

IT-Sektor und Solarenergie sollten profitieren

Die größten Hürden bei der Verwandlung der Kubaner in Kleinunternehmer sind jedoch fehlendes Kapital sowie der durch das US-Embargo begrenzte Zugang zu internationalen Zulieferprodukten und Rohstoffen. Trump ließ alle Geldsendungen aus dem Ausland nach Kuba verbieten, sogar die Zuwendungen von Exilkubanern an ihre Verwandten.

Die Auswirkungen der Totalblockade bekam beispielsweise das junge kubanische Modelabel „Clandestina“ in Havanna zu spüren. Es konnte seine Verkäufe nicht mehr über Paypal abwickeln, weil der Zahlungsdienstleister alle Transaktionen stoppte, in denen auch nur der Begriff „Kuba“ auftauchte. Das neue Gesetz könnte nun den Druck auf US-Präsident Joe Biden erhöhen, zumindest Geldüberweisungen wieder zuzulassen, um dadurch auch kubanischen Gründern zu Kapital zu verhelfen.

Zwei Branchen, die laut Kuba-Experte Marcel Kunzmann von der Reform relativ schnell profitieren könnten, sind der IT-Sektor sowie die Solarenergie. Havannas Fakultät für Informatik bilde Jahr für Jahr Zehntausende junge Menschen aus, die nur darauf warteten, eigene Firmen zu gründen, Apps zu entwerfen und Software-Programme zu schreiben.

Solarenergie könnte an Gewicht gewinnen, weil es auf Kuba zwar an Vielem mangelt, aber nicht an Sonne. Bisher kommt der Strom auf Kuba aus Schwerölkraftwerken, das Öl wird importiert, vorwiegend aus Venezuela. Mit der Reform wird jetzt die private Produktion von Solarenergie erlaubt und durch eine Einspeisevergütung gefördert. Die kubanische Führung hat in einem radikalen Schritt bis Ende des Jahres zudem so gut wie alle Importsteuern aufgehoben.

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