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Der Stopp des Heizungsgesetz-Eilverfahrens durch das Bundesverfassungsgericht war ein Schock für die Ampelkoalition.

© dpa/Uli Deck

Vorläufiger Stopp des Heizungsgesetzes: Ex-Verfassungsrichter über das Eingreifen von Karlsruhe

Das Bundesverfassungsgericht hat das Eilverfahren der Ampel zum Heizungsgesetz gestoppt. Dieter Grimm, früher selbst Richter in Karlsruhe, zu den Gründen.

Von Hans Monath

Herr Professor Grimm, der Rechtswissenschaftler Joachim Wieland nennt den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Heizungsgesetz einen „Eingriff in die Autonomie des Bundestags“. Ist es klug oder geboten, dass Karlsruhe diesen Eingriff vornimmt?
Ein erheblicher Eingriff in die Autonomie des Bundestages ist der Beschluss zweifellos. Ob er „klug oder geboten“ war, kann man nur beurteilen, wenn man berücksichtigt, was aufseiten des klagenden Abgeordneten ins Gewicht fällt. Laut Bundesverfassungsgericht: das Recht jedes Abgeordneten, an der parlamentarischen Willensbildung teilzunehmen. Dieses Recht versteht das Gericht, wie in seiner Rechtsprechung üblich, nicht formal (am Ende der Debatte die Hand zur Abstimmung heben zu dürfen), sondern inhaltlich: Es informiert tun zu können, und das braucht unter Umständen Zeit.

Diese Zeit hat die Ampelfraktion nun mit der Verschiebung in den Herbst gewährt …
Diese Zeit konnte dem Abgeordneten hier ohne schwerwiegende Nachteile für den Gesetzgebungsprozess verschafft werden. In Kraft tritt das Gesetz ohnehin nicht sofort, und der Bundestag könnte, wenn er wollte, die Schlussabstimmung schon bald ansetzen. Im Hintergrund mag es eine Rolle gespielt haben, dass die beschleunigte Gesetzgebung in letzter Zeit fast zur Regel geworden war, ohne dass immer ein Ausnahmetatbestand vorlag (wie zeitweise in der Pandemie).

Im Prinzip gebe ich der politischen Einigung den Vorzug.

Dieter Grimm, Rechtswissenschaftler

Das Verfassungsgericht erachtet selbst den Ausgang des Verfahrens als offen. Muss es, wenn es Kläger Thomas Heilmann folgt, dann nicht positiv definieren, ab welchem Komplexitätsgrad eines Gesetzes wie viele Tage zur Bearbeitung zur Verfügung stehen müssen, also eine Art parlamentarischen Kriterienkatalog mit Zeitangaben aufstellen – oder kann es dies auch dem Bundestag aufgeben?
In der Hauptsache-Entscheidung muss das Gericht konkreter werden, aber der Konkretisierung sind Grenzen gesetzt. Zum einen versagt die Verfassung, wenn es um Quantifizierung geht. Exakte Zahlen, gleich ob in zeitlicher, finanzieller oder anderer Hinsicht, lassen sich aus dem Grundgesetz nicht ableiten.

Zum anderen kann man wegen der großen Vielfalt der möglichen Situationen nur von zu exakter Maßgabe abraten. Ich kann mir gut eine Tatsachenlage vorstellen, bei der das Beschleunigungsinteresse das Interesse an Zeit für die Informationsverarbeitung überwiegt. Was die Komplexität der Materie angeht, ist es ähnlich.

Sollte Karlsruhe festlegen, wann ein Gesetz so komplex ist, dass mehr Zeit zur Beratung nötig wird?
Auch hier würde der Versuch, Komplexitätsgrade abstrakt im Voraus zu bestimmen, eher schaden als nützen. Das Gericht wird sich mit Gesichtspunkten, die bei der parlamentarischen Entscheidung zu berücksichtigen sind, zufriedengeben müssen. Ich würde es auch nicht für gut halten, wenn das Gericht dem Bundestag aufgäbe, die Frage in der Geschäftsordnung zu regeln. Es sollte dem Bundestag überlassen bleiben, ob er die Frage ad hoc oder ein für alle Mal in der Geschäftsordnung regelt. Das gehört wiederum zu seiner Autonomie.

Kläger Thomas Heilmann schlägt vor, die Koalitionen im Reichstag sollten sich auf neue Regeln einigen, wie viel Zeit etwa die Ausschüsse haben sollten, sich mit einem Gesetzesvorhaben zu beschäftigen. Für den Fall, dass dies gelingt, würde er das Hauptsacheverfahren zurückziehen. Welchen Weg halten Sie für klüger – Einigung im Parlament oder Entscheidung im Hauptsacheverfahren?
Im Prinzip gebe ich der politischen Einigung den Vorzug. Das Bundesverfassungsgericht soll nicht abstrakte Rechtsfragen, sondern konkrete Konflikte entscheiden. Ist der konkrete Konflikt gelöst, besteht in der Regel kein Grund zur gerichtlichen Entscheidung mehr. Allerdings fühlt sich das Bundesverfassungsgericht an die Rücknahme eines Antrags nicht gebunden. Wenn es der Frage grundsätzliche Bedeutung beimisst, entscheidet es sie trotz Rücknahme.

Gibt es zu diesem Thema schon Urteile aus Karlsruhe?
Nein. Die Frage, um die es hier geht, ist neu, Rechtsprechung dazu gibt es noch nicht. In der einstweiligen Anordnung hat das Gericht die Erwartung geweckt, es werde Kriterien für künftige Fälle aufstellen. Meine Vermutung ist, dass es das auch im Fall einer Antragsrücknahme tun würde. Dabei mag wiederum der Umstand eine Rolle spielen, dass das verkürzte Gesetzgebungsverfahren einzureißen droht.

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