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Haus des Euro. Die Europäische Zentralbank in Frankfurt, künstlerisch verfremdet.

© Boris Roessler/dpa

Karlsruher Urteil zur EZB: Die nächste Krise wird eine andere sein

Das Gericht setzt der EZB Grenzen, die niemand als Beschränkung empfinden wird. Darum ging es auch nicht. Es ging um Demokratie. Ein Kommentar

Die Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge war nicht der erste Weg, den Deutschland in Europa eher einsam beschritt; zuvor war es etwa der Rechtsweg, auf den sich in der Eurokrise zwar nicht die Regierung, wohl aber eine bunte Klägerschar begab, die stellvertretend für den politischen Widerstand von möglicherweise Millionen vor das Bundesverfassungsgericht zog, um dort ausgerechnet die Europäische Zentralbank in ihre Schranken weisen zu lassen; ein Ansinnen, für das weder die Mitgliedstaaten noch EU-Parlament oder Kommission Verständnis aufbringen konnten.

„Whatever it takes“, mit diesen Worten hatte EZB-Präsident Mario Draghi vor vier Jahren seine Entschlossenheit bekräftigt, notfalls alles zu tun, um klamme Staaten mit Anleihekäufen aus dem Schuldensumpf zu ziehen. OMT-Programm lautete der Name der Geheimwaffe, die Draghi nicht einmal zu entsichern brauchte. Die bloße Ankündigung genügte, um neues Vertrauen zu wecken. Eine geldpolitische Wunderheilung.

Oder ein unzulässiger wirtschaftspolitischer Frontalangriff? Um diese Frage drehte sich der Streit, der mit dem Karlsruher Urteil ein vorläufiges Ende findet. Erstaunlich, dass kaum EU-Partner mitmischen wollten, ging es doch mit den EZB-Befugnissen um eine der Grundfesten der Gemeinschaften und das ungelöste Problem, welche Abhängigkeiten ihre Unabhängigkeit einschließen soll. Schließlich: Um die Haftung der Staaten entsprechend ihrer EZB-Kapitalquote, die Draghi mit seinen Aktionen riskiert.

Das überzeugendste an der Antwort aus Karlsruhe ist nicht ihr Inhalt, sondern die Art und Weise, wie sie gefunden wurde. Es beginnt damit, die Verfassungsbeschwerden, die zu erheben allen Bürgern freisteht, als taugliches Mittel zu erachten, um ferne Akte von Unionsorganen zu kontrollieren. Eine in Europa beispiellose Klagemöglichkeit, die Parlament und Regierung in die Pflicht nimmt, Kompetenzübergriffe abzuwehren – und den internationalen Einfluss der deutschen Richter nachhaltig stärken wird.

Weil großen Taten Demut folgen sollte, überließen es die Karlsruher dafür erstmalig den Richterkollegen in Luxemburg, die relevanten Fragen zu klären. Die historische Botschaft verband sich mit einer bestimmenden Geste: Das deutsche Gericht hielt das OMT-Programm für verbotene Staatsfinanzierung mit der Notenpresse, jedenfalls dann, wenn die EU-Richter dem Ankauf-Wildwuchs keine ordentliche Rasur verpassen sollten. Das taten die EU-Richter dann, was wiederum die Karlsruher akzeptierten, freilich ohne ihre Skepsis aufzugeben.

Das Ergebnis ist eine Rechtskooperation, die der EZB einen ungewohnten Rahmen steckt: Ja zum Ankauf, aber nur unter Auflagen und mit juristischer Endkontrolle. Niemand, auch Draghi nicht, wird dies als echte Beschränkung empfinden; die nächste Krisensituation wird eine andere, die nächste Gegenmaßnahme eine neue sein, und die Urteile dazu, die zwangsläufig erst nach Jahren fallen, werden sich von einer Bewertung der bis dahin gezeitigten Ergebnisse kaum freimachen können.

Die Annahme der Kläger, über den Karlsruher Umweg doch noch maßgeblich Einfluss auf die EU-Krisenpolitik zu nehmen, ist deshalb ein wiederkehrender Fehlschluss. Das Verfassungsgericht kann eine parlamentarische Opposition so wenig ersetzen wie eine verantwortungsbewusste Regierung. Allerdings gilt die bewährte Einsicht, dass Probleme besser zu bewältigen sind, wenn man sie als solche erkennt. Eine gemeinsame Notenbank als politischer Akteur, der ohne demokratische Legitimation und Aufsicht mit den Milliarden der Mitgliedstaaten gegen den Zerfall der Währungsunion anzockt – so hatten es sich Europas Gestalter vielleicht nicht gedacht, als sie ihre Unterschrift unter die entsprechenden Verträge setzten. Deutsche Sonderwege, so unbeliebt sie in Europa sein mögen, führen daher nicht immer zur richtigen Lösung. Aber sie weiten den kritischen Blick, der nötig ist, um sie zu finden.

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