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Frauen in die Männergruppe - als Mittel gegen Realitätsverlust.

© dpa

Katholische Kirche, Fifa und Volkswagen: Der "kollektive Realitätsverlust" der Männer

Was haben der Papst, Sepp Blatter und Martin Winterkorn gemeinsam? In ihren Clubs wurde die Männergruppe wichtiger als der Rest der Welt - und warum mehr Frauen da helfen würden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Die eine ist bald 2000 Jahre alt und residiert an der Via della Conciliazione 54, die andere hat ihren 111. Geburtstag hinter sich und eine Adresse in Zürich, die Dritte wurde vor 78 Jahren in Berlin gegründet und siedelte bald darauf nach Wolfsburg um. Soweit die einigermaßen unterschiedlichen biografischen Basisdetails eines Trios, das in der jüngeren Vergangenheit auf ähnliche Weise zum Gesprächsthema wurde: weil alle drei ihre Macht missbraucht haben. Und dass das so kam, lag auch an ihren inneren Strukturen.

Das Trio, namentlich die katholische Kirche, die Weltfußballorganisation Fifa und die Volkswagen AG, besteht aus drei Männerbastionen, die – wie man im letzten Fall jetzt noch mal druckfrisch nachlesen konnte – streng hierarchisch aufgebaut sind, ohne Diskussions- und Teilhabekultur, ohne Blick übers Eigene hinaus.

Das ist eine Organisationsform, die Transparenz, Aufklärung, Mitreden, Mitdenken behindert und stattdessen das reine Funktionieren, das Untertänige und Willfährige befördert. Dennoch scheint es eine Form zu sein, die dem Mann zugehörig ist. Der österreichische Sozialwissenschaftler und Firmencoach Gerhard Schwarz beschreibt in seinem Buch „Die ,Heilige Ordnung‘ der Männer“, dass Männer Ordnung vor allem als Über- und Unterordnung verstehen. Dieses lineare Verständnis lässt links und rechts wenig Platz. Darum wird Positionsbestimmung und -sicherung schnell zu einem Thema, das offenbar so wichtig werden kann, dass kriminelle Taten gedeckt oder gar selbst veranlasst werden.

Es entsteht Konformitätsdruck. Mach mit oder du bist raus

Der Grund für solche Strukturen liegt nach den Beobachtungen von Schwarz am Verhalten von Männern in Männergruppen. Männer bilden Gangs, in denen sie sich stark fühlen, in denen es von Beginn an Rollen gibt – der Clown, der Schlaue, der Dumme, der Anführer –, die dann akzeptiert und ausgefüllt werden. Wer kennt keine Geschichte über geradezu theaterhaftes Gehabe von Männern, die sich beim Rollenausfüllen gern beobachten lassen?

Dieses Gangverhalten ist aber nicht nur ausgrenzend den Nichtmitgliedern gegenüber, es macht auch nach innen Druck: Konformitätsdruck. Mach mit oder du bist raus, ist die Devise. Das kann nach Schwarz bis zum „kollektiven Realitätsverlust“ gehen, bis man das Funktionieren der Gruppe tatsächlich für wichtiger hält als den Rest der Welt. Das lässt zuerst an die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche denken, über die trotz besseren Wissens teilweise erst Jahrzehnte, nachdem sie geschahen, gesprochen wurde.

Die Über- und Unterordnung in der Männergruppe erfolgt nach möglichst messbaren und damit vermeintlich unangreifbaren Kriterien, die Mitarbeiter auf vergleichbare Parameter reduzieren. Relevant ist beispielsweise Leistung, nicht relevant sind Motive und Bedürfnisse. Zwischenmenschliches und Emotionales – gemeinhin weibliche Stärken genannt – werden zurückgedrängt. Das führt dann zu jenen Berichten über den Hofstaat VW, in dem der zurückgetretene VW-Chef Winterkorn mit einem missvergnügten Grunzen Heerscharen von Ingenieuren in Angst versetzt habe.

Die Lösung? Mehr Frauen in die Teams

So weit die betrübliche Lage. Und was lehrt das jetzt? Die ideale Organisationsform bringt Männer und Frauen in gemeinsame Teams. Das ist tausendfach verkündet worden, und nun machen die Herrenvereine Kirche, Fifa und VW das ein weiteres Mal klar. „Hierarchie ist eine Art Maßanzug, der Frauen meist nicht so recht passt“, schreibt Schwarz. Was ja nicht heißt – keine Panik! –, dass Frauen alles besser machen würden. Sie würden es aber anders machen. Das hat mit unterschiedlichem Gruppenverhalten zu tun. Frauen bilden mehrheitlich keine Gangs, noch reihen sie sich gut in deren Binnenlogik ein, sie denken individualistischer. Und irgendwo zwischen beiden Verhaltensweisen – zwischen dem In-Funktionen-Denken hier und dem In-Personen-Denken dort – liegt wahrscheinlich jener Mix, der Organisationen dazu befähigt, gut zu funktionieren, ohne sich aus zu linearem Hierarchiedenken in sich selbst zu verlieren. Nicht unwahrscheinlich, dass der Mix bei 50 zu 50 liegt.

Vielleicht sollten sich also an diesem Montag die ungezählten Konferenz-und Sitzungsteilnehmer in den Millionen Büros dieses Landes mal genauer umschauen, wie es bei ihnen am Tisch bestellt ist mit der Verteilung der Geschlechter. So könnte am Ende noch etwas Gutes entstehen aus dem Schaden, den Kirche, Fifa und VW an Menschen, Ideen und Produkten angerichtet haben.

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