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Nur 2,3 Prozent der Abgeordneten im Bundestag sind unter 30.

© Jensen/ dpa

Bundestagswahl 2017: Kein Platz für die Jungen

Nur 2,3 Prozent der Parlamentarier sind unter 30. Mehr junge Politiker wollen ein Mandat und kämpfen um ihre Chance. Was treibt sie an?

Alexander Zink kommt aus dem oberfränkischen Münchberg. Einer vom Land. Er weiß, was die Menschen dort beschäftigt, kennt die Wünsche der Generation unter 30. Zink ist selbst erst 25. Deshalb hatte er mit der Jungen Union eine Idee, wie er in seiner Heimat ein Problem lösen kann, mit dem die Jugend auf dem Land an jedem Wochenende zu kämpfen hat. Gemeinsam etablierten sie einen Nachtbus, der junge Menschen zu Partys bringt und zu Volksfesten und der sie dort wieder abholt.

Am Wochenende halten die Busse sonst nicht einmal stündlich. Nach fünf kommt man aus der Stadt kaum noch weg. Jetzt kandidiert Zink für den Deutschen Bundestag, als jüngster Kandidat der CSU steht er auf Listenplatz 41. Nicht sehr aussichtsreich, aber es ist ihm trotzdem einen Versuch wert.

Mit Mitte 20 wäre Zink im Bundestag ein Exot. Kurz nach der Wahl im Jahr 2013 lag das Durchschnittsalter der Abgeordneten bei 49,7 Jahren. Und bei der anstehenden Wahl wird sich nicht viel ändern: Für die sieben Parteien mit einer realistischen Chance in den Bundestag einzuziehen, treten 2516 Kandidaten an. Von diesen sind lediglich 268 jünger als 30 – gerade einmal jeder Zehnte. Zum Vergleich: 422 sind älter als 60. Und: Immer weniger junge Menschen engagieren sich in Parteien. Bereits 2015 stellte eine Shell-Jugendstudie fest, dass zwar das Interesse der Jugendlichen an der Politik insgesamt steigt, nicht aber das an den parlamentarischen Interessenvertretern.

„Parteien haben eine Tendenz zur Überalterung“, sagt der Politikwissenschaftler Stefan Marschall. „Sie müssen sich überlegen, ob sie nicht gezielt junge Menschen aufstellen. Wenn es nur darum geht, dass man sich lange in einer Partei verdient gemacht hat, haben junge Menschen kaum eine Chance auf aussichtsreiche Plätze.“ Nur wenige von ihnen versuchen es trotzdem. Obwohl sie kaum eine Chance haben, es wirklich ins Parlament zu schaffen. Sie bekommen aussichtslose Listenplätze und kämpfen um hoffnungslose Direktmandate. Sie arbeiten in ihren Parteien neben Studium, Abitur und Ausbildung. Und manche der jüngsten Kandidaten dürfen in diesem Jahr zum Teil selbst erstmals einen Bundestag wählen, für den sie kandidieren.

Der Jüngste unter den Jungen ist Diyar Agu. Er kandidiert für die Linke, die insgesamt die meisten jungen Kandidaten ins Rennen schickt. 58 von ihnen sind unter 30. Agu ist erst vor einer Woche 18 geworden, er tritt in Gummersbach in Nordrhein-Westfalen als Direktkandidat an. „Ich habe früh erlebt, dass die Art, wie wir leben, nicht selbstverständlich ist.“ Seine Eltern sind Kurden. Sie kommen aus dem Südosten der Türkei.

2013, vor der vergangenen Bundestagswahl, habe Agu sich die verschiedenen Parteien genau angeschaut. Damals war er 13. Er surft im Internet, dort stößt er auf Gregor. So nennt er Gregor Gysi, wenn er über ihn spricht. Dessen Reden haben es ihm angetan. „Wenn ich Gregor reden hörte, dann habe ich ihn verstanden.“ Es waren nicht die Parteiprogramme, die ihn überzeugten, sondern eine einzelne Person.

Diyar Agu kandidiert für die Linke.

© Privat

Typisch für die junge Generation. „Wahlen und Parteien, wie sie jetzt sind, passen nicht zu den Vorstellungen der jungen Generation“, sagt Ana-Marija Cvitic von der Initiative „Demokratie braucht dich“, die junge Menschen zum Wählen animieren will und dafür durch ganz Deutschland tourt. Ihre These lautet, dass die festen Strukturen und starren Hierarchien in den Parteien abschreckend wirken. Politikwissenschaftler Marschall teilt diese Einschätzung: „Für junge Menschen ist die Parteimitgliedschaft zunehmend unattraktiv geworden, weil sie sich nicht fest binden möchten.“ Um sie zu gewinnen, müssten Parteien spontaner und unverbindlicher werden. Es wird weniger attraktiv, zunächst die komplette Ochsentour durch Orts- und Kreisverbände durchlaufen zu müssen, bevor man bundespolitisch mitreden kann.

Was das angeht, ist Moritz Moser die Ausnahme unter den Ausnahmen. Nicht die Innovationskraft, sondern die lange Vergangenheit der Sozialdemokraten brachte den 20-Jährigen zur SPD. „Die Partei hat mich schon immer fasziniert, auch wegen ihrer großen Historie“, sagt er, der auf Platz 14 der Landesliste im Saarland steht. Einfach dasitzen und sich beschweren könne jeder, sagt Moser, „aber man kann nicht darauf warten, dass andere diese Probleme lösen“.

Moritz Moser kandidiert für die SPD.

© nPrivat

{Kluft zwischen Arm und Reich}

Denise Köcke brauchte lange, um die richtige Partei für sich zu finden. Erst kam der Drang in die Politik, dann die Frage, wem sie folgen will: Mit der FDP war es „Liebe auf den 18. Blick“. Ein schleichender Prozess. Irgendwann reift die Überzeugung: „Die FDP ist die einzige Partei, die mich als Individuum sieht. Bei anderen Parteien wird man mit einer Masse in eine Schublade geworfen, dann kommt ein Deckel drauf.“ Mit solchen Sätzen will die 18-Jährige jetzt in den Bundestagziehen. Lange kaufte ihr niemand die „FDP-Sache“ ab. Eine Art pubertäre Spinnerei sei das, dachten viele im Umfeld der 18-Jährigen.

Die Kandidatur half ihr dabei, endlich ernst genommen zu werden. Im nächsten Jahr steht für sie das Abitur an. Zwei Tage pro Woche geht sie in die Schule, den Rest der Zeit wirbt sie um Stimmen. Für Eltern und Lehrer kein Problem: Den verpassten Stoff will sie in den Herbstferien nachholen. „Teilweise schlafe ich zwei Stunden täglich, aber ich empfinde das nicht als Stress“, sagt Köcke. Sie wird auch durch die Partei entlastet. Oft sind es die Jugendverbände von Parteien selbst, die Plakate kleben, von Haustür zu Haustür ziehen, Flyer verteilen. Sprich: die Basisarbeit leisten. In Köckes Wahlkreis hängen 1500 Plakate mit ihrem Konterfei darauf. Die Liberalen haben dafür eine Firma angeheuert, diese anzubringen. Der Wahlkampf wird finanziert über Spenden von Mitgliedern und Unternehmen. Was das kostet, will Köcke nicht sagen.

Denise Köcke kandidiert für die FDP

© PFoto: rivatl

Dass es nicht immer ganz einfach ist, weiß kaum jemand besser als Ronja Kemmer. Mit 28 ist sie die jüngste Abgeordnete im Bundestag. 2014 rückte sie durch tragische Umstände nach, als ihr Vorgänger und CDU-Kollege Andreas Schockenhoff unerwartet starb. Kemmer zögerte, beriet sich mit ihrem Freund, ihrer Familie. Sie entschied sich, den Schritt zu gehen - und wurde prompt kritisiert. Von Politikern, von Journalisten. Anfangs habe sie sich darüber geärgert. "Es heißt oft, jüngere Menschen interessieren sich nicht für Politik, und dann heißt es, man sei zu jung, wenn man sich engagiert."

Sie will es besser machen, sagt: "Unabhängig vom Alter ist es immer wichtig, Kollegen mit Erfahrung zu haben und gleichzeitig offen für junge Menschen zu sein, die neu dazu stoßen. Wer Hilfe braucht, kann sich jederzeit an mich wenden." Gerade in den ersten Tagen gehe es darum, viel Organisatorisches zu klären. Büro, Mitarbeiter, Genehmigungen. Erst dann beginnt die parlamentarische Arbeit.

Neele Schauer kandidiert für die CDU.

© Privat

Basisarbeit, Ochsentour – Neele Schauer muss selbst ein bisschen lachen, als sie erzählt, dass sie außerdem noch Ko-Vorsitzende im Landesfachausschuss für Schule und Bildung der CDU-Hessen ist. Es ist das sechste politische Amt, das sie gerade auflistet. Fast beiläufig, neben dem Jura-Studium in Frankfurt am Main und der Kandidatur um Listenplatz 33 in Hessen. In die CDU trat sie ein, als ihr die Schülervertretung zu langweilig wurde. Mit 18 Jahren liegt Schauer 41 Jahre unter dem Altersdurchschnitt in der Union. Bei CSU und SPD wäre es nicht anders. Im Mittelwert aller Mitglieder liegt die Linke an der greisen Spitze mit 60 Jahren. Am jüngsten – das mag überraschen – ist die AfD mit 47 Jahren. Die Partei hat zugleich unter allen Parteien, die sich Hoffnung auf den Einzug in den Bundestag machen können, die wenigsten Jungen aufgestellt. Nur 22 unter 30-Jährige stehen für die Partei zur Wahl.

Pascal Stüber kandidiert für die AfD.

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Der Jüngste von ihnen ist der 20-jährige Pascal Stüber. 2014 trat er in die AfD ein, die damals noch die Anti-Euro-Partei war und deren Chef Bernd Lucke hieß. Die Partei war eine andere als heute. Die Alternative ist nach rechts gerückt. Stüber gefällt das: „Ich finde es gut, dass wir uns zeitnah breit aufgestellt haben. Mit dem Euro allein kann man keine Wahlen gewinnen.“ Mit den Schwerpunktthemen Flüchtlinge und Bildung will er auf Stimmenfang gehen. Dass die AfD den Ruf einer „Altherrenpartei“ hat, stört Stüber nicht, sagt er: „Ich habe gelernt, wie man sich mit Menschen jeden Alters austauscht.“ Stüber findet, dass die AfD einen guten Weg eingeschlagen hat.

Wie stark die „Alternative“ wirklich wird, hängt auch von der Wahlbeteiligung ab. Bei vergangenen Landtagswahlen war die Alternative überall dort besonders erfolgreich, wo die Wahlbeteiligung niedrig war. Jüngere Menschen stehen nicht nur seltener zur Wahl, sie gehen seltener wählen. Bei der Bundestagswahl 2013 suchten etwa 60 Prozent der 21- bis 24-Jährigen die Wahlurne auf. Bei den 60- bis 69-Jährigen fast 80 Prozent. Dies ist keine neue Entwicklung. „Dass junge Menschen seltener wählen gehen, ist ein stabiler Trend, den wir schon seit Jahrzehnten beobachten“, sagt Stefan Marschall.

Es besteht also eine Kluft zwischen den Alten und den Jungen. Im Parlament wie unter den Wählern. Das Misstrauen, so scheint es, beruht auf Gegenseitigkeit. Klara Sendelbach ist 18 und kandidiert als Jüngste für die Grünen in Saarbrücken. Listenplatz 6. Ob sie ernst genommen wird, wenn sie so jung um Wähler wirbt? Meistens schon, aber nicht immer. Neulich verteilte sie Flyer, um für sich zu werben, ihre politische Arbeit zu erklären. Auf einem der Flugblätter war Sendelbach selbst zu sehen. Ein älterer Mann kam vorbei, blieb stehen. Schaute auf Sendelbach, dann auf ihr Foto. Er schüttelte bloß den Kopf und ging wortlos weiter.

Klara Sendelback kandidiert für die Grünen.

© Privat

Laura Weigele, Philipp Schaffranek

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