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Politik: Killer im Dienst des türkischen Staates

Ein Ex-Polizist sagt, er habe in den 80ern und 90ern im Kurdengebiet etwa 1000 Menschen getötet

Ayhan Carkin ist stolz auf seine Ausbildung bei einer Spezialeinheit der türkischen Polizei. Sehr gute Kurse habe er Mitte der 80er Jahre genossen, sagt der 46-Jährige vor wenigen Tagen im türkischen Fernsehen. Und dann schockt der bullige Ex-Polizist mit kurz geschnittenem Haar und schwarzem T-Shirt die Zuschauer: „Es kann sein, dass ich im Kampf gegen den Terror etwa 1000 Menschen getötet habe.“ Alle Morde seien im Dienst des Staates verübt worden.

Carkins Dienstzeit fiel in die Ära des „schmutzigen Krieges“ des türkischen Staates gegen die kurdische Rebellengruppe PKK und deren angebliche Unterstützer in den 80er und 90er Jahren. Damals wurden kurdische Geschäftsleute ermordet, die der Nähe zur PKK verdächtigt wurden. Viele dieser Gewalttaten wurden nie aufgeklärt. Von den Politikern hatten mordende Mitglieder der Sicherheitskräfte nichts zu befürchten. Die damalige Vizeministerpräsidentin Tansu Ciller gab ihnen 1996 sogar öffentlich Rückendeckung: „Wir empfinden stets Respekt für jene, die für diese Nation, dieses Land, diesen Staat schießen oder getroffen werden.“ Aufklärungsversuche des Parlaments wurden abgeblockt.

Carkin arbeitete in jener Zeit vier Jahre lang in Diyarbakir, der größten Stadt des türkischen Kurdengebietes. Auch an einem berüchtigten Massaker in Istanbul, bei dem Mitte der 90er Jahre 17 Menschen von der Polizei erschossen wurden, soll Carkin beteiligt gewesen sein.

Schon Anfang des Monats war die türkische Öffentlichkeit durch Bekenntnisse aus der Familie eines ehemaligen Kollegen von Carkin aufgeschreckt worden. Die Mutter von Oguz Yorulmaz, einem vor drei Jahren in einem Streit getöteten Ex-Mitglied der Polizeispezialeinheiten, sagte in einer Sendung des bekannten Fernsehjournalisten Ugur Dündar, ihr Sohn habe „im Namen des Staates“ bis zu 94 Menschen getötet. Darunter seien viele kurdische Geschäftsleute gewesen. Ihr Sohn sei Staatsbeamter gewesen, habe sich dann aber in einer „Bande“ wiedergefunden.

Auch Carkin suchte sich Dündar als Gesprächspartner aus. Seinen Gastgeber überraschte Carkin im Studio mit einer Nachricht, die diesem Schauer über den Rücken jagte: „Auch für dich gab es einen Mordbefehl“, sagte er. „Auftraggeber war ein Politiker.“ Abdullah Catli, ein rechtsgerichteter Mafioso, der in den 90er Jahren viele Mordaufträge des Staates erledigt haben soll, habe es aber abgelehnt, Dündar zu töten.

Der Mafioso Catli starb 1996 zusammen mit einem Polizeioffizier bei einem Autounfall, der die dunklen Verbindungen zwischen dem Staat und Killerbanden zutage förderte. Im Zusammenhang mit dem damaligen Skandal wurde Carkin zu vier Jahren Haft verurteilt. Nun sagte er, der Unfall vor zwölf Jahren sei kein Zufall gewesen. Catli sei von der sogenannten „Ergenekon“-Bande ermordet worden, deren Mitglieder derzeit wegen Umsturzplänen gegen die Regierung vor Gericht stehen. Die Bande habe gemerkt, dass Catli ein „Ehrenmann“ gewesen sei.

Eine ultranationalistische Bande, die einen Killer umbringen lässt, weil dieser zu „ehrenhaft“ erscheint – besonders glaubhaft klingt das nicht. Doch gibt es eine wichtige Verbindung zwischen dem „schmutzigen Krieg“ des vergangenen Jahrzehnts und dem Fall „Ergenekon“: Auch hier geht es laut Staatsanwaltschaft um selbst ernannte Retter des Staates, die jeden potenziellen Gegner aus dem Weg räumen wollten.

Den „Ergenekon“- Mitgliedern wird vorgeworfen, sie hätten die Türkei durch die Ermordung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk und anderen Prominenten ins Chaos stürzen wollen, um einen Militärputsch zu provozieren. Als Chef von „Ergenekon“ gilt Ex-General Veli Kücük, der wie der mutmaßliche Polizeikiller Carkin ein Experte für Spezialeinsätze gegen angebliche Staatsfeinde war. Kücük soll auch an der Spitze jener Einheit gestanden haben, für die der Ex-Polizist Yorulmaz nach den Worten seiner Mutter mordete.

Carkins Geständnisse zeigen, wie real die Gefahr ist, die von Banden wie „Ergenekon“ ausgehen: Rücksichtslos schwingen sich nationalistische Gruppen im Sicherheitsapparat zu Richtern und Henkern über alle auf, die nach ihrer Meinung die Grundwerte des Staates gefährden. Carkins Fernsehauftritt bot einen Blick in die Abgründe der nationalistischen türkischen Staatsideologie. Was Carkins Schilderungen der eigenen blutigen Karriere angeht, melden einige Experten allerdings Bedenken an. Die von dem Ex-Polizisten genannten Opferzahlen seien wohl übertrieben, sagte Mete Göktürk, ein ehemaliger Staatsanwalt. Die Justiz leitete dennoch ein Ermittlungsverfahren gegen den Ex-Polizisten ein.

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