zum Hauptinhalt
Das Grundgesetz soll einen ergänzten Artikel sechs bekommen.

© Stephanie Pilick/dpa

Kinderrechte sollen in die Verfassung: Was die Grundgesetzänderung ändert, wenn sie nichts ändert

Nach langem Ringen einigt sich die Koalition darauf, die Grundrechte von Kindern sichtbar zu machen. Mehr war nicht zu erwarten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Das Grundgesetz hatte 61 Väter und nur vier Mütter. Diese Zusammensetzung im Parlamentarischen Rat 1948 könnte ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass Kinder etwas vergessen wurden; Männer vergessen manchmal, dass sie Kinder haben, Mütter selten.

Außerdem war anderes wichtiger: Der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ musste hinein, den es ohne zwei dieser Mütter nicht gegeben hätte. Sie haben sehr gekämpft dafür. Damals war der Satz eine Revolution, heute ist er eine Selbstverständlichkeit.

Und die Kinder? Sind keine Selbstverständlichkeit. „Kinder kriegen die Leute immer“, soll Altkanzler Adenauer gesagt haben, doch so sicher ist das alles nicht mit Blick auf schwankende Geburtenzahlen. Kinder sind etwas Besonderes. Vor allem sind sie keine kleinen Erwachsenen. Weshalb die Forderung, ihre Rechte im Grundgesetz aufzunehmen, immer berechtigt war.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier fürApple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Natürlich haben sie Rechte und Grundrechte wie Große. Aber das steht dort nicht ausdrücklich. Adenauermäßig hatte man stets als selbstverständlich angenommen, was vielleicht gar nicht so selbstverständlich ist.

Wohin soll es gehen, wenn es weiter gehen soll?

Nun hat die Regierung nach langem Ringen und ewigen Expertenrunden einen Entwurf beschlossen. Artikel sechs soll ergänzt werden, der Schutz von Ehe und Familie: „Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.“

Das gibt im Wesentlichen wieder, was auch ohne Grundrechtsänderung zur Praxis in Deutschland gehört. Manchen geht das nicht weit genug. Wohin soll es gehen, wenn es weiter gehen soll? Kinder bleiben Kinder, und Eltern bleiben Eltern. Ihre Rechte gegeneinander auszuspielen, ergibt wenig Sinn; sie sind füreinander da.

Man kann Kinder auch nicht größer machen, als sie sind. Sie sind keine kleinen Erwachsenen und sollten auch durch eine Grundrechtsänderung nicht dazu gemacht werden. Die Herausforderung ist also, durch eine Änderung möglichst wenig bis nichts zu ändern.

In dieser Hinsicht dürfte der gefundene Kompromiss tauglich sein. Er ist auch ein Fortschritt in einem Umfeld, in dem insbesondere die Rechte von Frauen gestärkt wurden, indem man den Satz von der Gleichberechtigung um einen staatlichen Förderauftrag ergänzt hat. Sogar die „natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere“ haben ihren Platz gefunden, als Staatszielbestimmung in Artikel 20a. Noch sind die Kinder unsichtbar. Irgendwann kommen sie. Und mit ihnen kommt vielleicht auch eine Revolution.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false