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KLIMAKONFERENZ IN BALIWeichen für neues Abkommen gestellt: Buhrufe, Tränen und ein Happy End

Nach langem Ringen einigten sich die Delegierten doch noch auf eine gemeinsame Roadmap – Protokoll der ultimativen Gipfelnacht

„Auf Bali“, sinnierte der pakistanische Delegationsleiter nach der dramatischsten Abstimmung, die es je bei einem UN-Klimagipfel gegeben hat, „führen alle Straßen ins Meer ...“ Dabei wollte er die gerade verabschiedete Bali-Roadmap gar nicht als Anleitung zum Untergang verstanden wissen. Im Gegenteil. Nachdem es am Samstag gegen 15 Uhr endlich geschafft und das Verhandlungsmandat für ein neues Klimaabkommen angenommen war, sprangen die Delegierten auf, jubelten, lagen sich in den Armen. Es war das vorläufige Ende einer unvergleichlichen Achterbahnfahrt der Gefühle. Tränen flossen, die US-Delegationsleiterin, Paula Dobriansky wurde danach aus dem Saal getragen, berichtete ein UN-Mitarbeiter dem Tagesspiegel am Sonntag. Und dazwischen sah es mehr als einmal so aus, als würde der Gipfel komplett scheitern.

In der Nacht zum Samstag stritten sich die Minister in einer kleinen Verhandlungsgruppe den 14. Tag über zwei Fragen: Wie deutlich sollte der Hinweis auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Weltklimarats ausfallen? Und welche Verpflichtungen zur Verminderung ihrer Emissionen würden Industrie- und Entwicklungsländer schon zum Beginn der zweijährigen Verhandlungen über ein neues Klimaschutzabkommen zusagen. Die USA verlangten tagelang zäh und unnachgiebig, dass die Entwicklungsländer genauso behandelt werden sollten wie die Industriestaaten. Eine für diese unannehmbare Forderung, schließlich seien sie „am aktuellen Klimawandel nicht schuld“, sagte Umweltminister Sigmar Gabriel nach dem Ende der Konferenz.

Bis um halb drei Uhr morgens hatten die Minister an Formulierungen gefeilt. Am Ende stand in der Erklärung, dass alle Industrieländer ihre Emissionen „quantitativ und in einer vergleichbaren Weise“ würden reduzieren müssen. Die Entwicklungsländer sollten „messbare und überprüfbare“ Beiträge zur Minderung der weltweiten Emissionen leisten, dabei aber auch ebenso „mess- und überprüfbar“ von den Industrieländern unterstützt werden. Die Frage, an welcher Stelle im Satz die Worte „mess- und überprüfbar“stehen müssten, damit sie auf beides bezogen werden können, hat die Juristen und Sprachwissenschaftler der Delegationen mehrere Stunden beschäftigt.

Um acht Uhr morgens ging es weiter. Doch der Entwurf für die Bali-Roadmap enthielt noch eine ältere Formulierung dieses Punktes. Als Indien die in der Nacht gefundene Formulierung vortrug, brach Hektik aus. Die Versammlung wurde unterbrochen, weil der indonesische Außenminister, offenbar ohne das Wissen des Umweltministers und Präsidenten der Konferenz, mit Entwicklungsländern über die Formulierung verhandelte. Kaum wurde das Plenum fortgesetzt, musste es auf Antrag der chinesischen Delegation wieder unterbrochen werden. Sie vermuteten eine sinistre Verschwörung des UN-Klimasekretärs Yvo de Boer, der allerdings weder mit den Verhandlungen außerhalb des Tagungsraums noch mit der Leitung der Versammlung irgendetwas zu tun hatte. Ein chinesischer Delegierter forderte sichtlich erregt eine Entschuldigung de Boers. Nachdem das Plenum ein zweites Mal fortgesetzt worden war, entschuldigte sich zunächst, der Präsident, Rachmat Witoelar, er habe von den Verhandlungen nichts gewusst. Im Anschluss daran, gegen ein Uhr, appellierten der indonesische Präsident, Susilo Bambang Yudhoyono, und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, der eigens nach Bali zurückgeflogen war, nachdem er am Mittwoch schon die Verhandlungsrunde der Minister eröffnet hatte, eindringlich an die Delegierten, nicht mit leeren Händen wieder zurückzufahren. „Wir dürfen nicht scheitern. Spätere Generationen werden sich an Bali erinnern“, sagte Yudhoyono. Ban meinte: „Ich bin enttäuscht.“ Denn eigentlich hätte der Klimagipfel am Freitag schon enden sollen.

Trotz dieser doppelten Bitte um Vernunft bestand China weiter auf einer Entschuldigung de Boers. Der saß kreidebleich auf dem Podium und schlug die Hände vors Gesicht. Er bat um Entschuldigung, schlug wieder die Hände vors Gesicht und brach in Tränen aus, brachte seinen Satz zu Ende und verließ das Plenum. Im Verlauf des weiteren Tages gab es nicht minder emotionale Äußerungen der Wertschätzung für Yvo de Boer.

Emotional ging es weiter. Denn die US-Delegationsleiterin Paula Dobriansky sagte, die USA seien mit der Kompromissformulierung zu den Verpflichtungen der Entwicklungsländer „nicht einverstanden, aber wir sind bereit, weiter darüber zu verhandeln“. Wie hatte Yudhoyono nur Minuten vorher gesagt: „Das Schlimmste wäre, daran zu scheitern, dass man nicht die richtigen Worte findet.“ Es wurde laut im Plenum, es gab Buhrufe. Der Delegierte aus Papua-Neuguinea griff die USA frontal an: „Wenn Sie nicht führen wollen, dann gehen Sie wenigstens aus dem Weg.“ Das wirkte. Paula Dobriansky ruderte zurück: „Wir wollen Teil der Bali-Roadmap sein.“ Sigmar Gabriel lobte die Amerikaner für „ihre Größe in einer solchen Situation, nachdem sie massiv angegriffen worden waren, ihre Ablehnung zurückzunehmen“.

Herman Ott, Klimaexperte des Wuppertal-Instituts, sagte dem Tagesspiegel am Sonntag: „Es hat sich gezeigt, dass mit den großen Entwicklungsländern nur noch auf Augenhöhe verhandelt werden kann. Also keine Almosen mehr, sondern ein ausreichendes Angebot zur Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen und eine Technologieallianz – nur das wird 2009 in Kopenhagen ein gutes Ergebnis bringen.“ Das sieht auch der BUND-Geschäftsführer Gerhard Timm so. Er lobte das Zusammenspiel der Europäer und der Entwicklungsländer. Alles in allem aber sei die Bali-Roadmap, „gemessen an dem, was nötig wäre, weiter ungenügend“.

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