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Arcelor Mittal hat das Stahlwerk in Eisenhüttenstadt übernommen.

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Update

Klimaschutz: EU will den Emissionshandel retten

Der federführende Umweltausschuss des Europaparlaments will Kohlendioxid-Zertifikate vom Markt nehmen. Doch Berlin blockiert Reformen in Brüssel. Dabei könnte ein höherer Preis für Kohlendioxid den Klimafonds für die Energiewende füllen - und die EEG-Umlage mindern.

Der Umweltausschuss des Europaparlaments will den europäischen Emissionshandel retten. Mit 38 zu 25 Stimmen sprach sich der federführende Ausschuss dafür aus, zumindest bis 2020 rund 900 Millionen Kohlendioxid-Zertifikate aus dem Markt zu nehmen. Denn die Preise für die Tonne CO2 sind dramatisch gefallen, weil viel zu viele Zertifikate auf dem Markt sind. Außerdem hatte der Industrieausschuss am 24. Januar gegen den geplanten Markteingriff gestimmt. Daraufhin war der Preis auf 2,81 Euro pro Tonne gefallen. Er stieg vor der Umweltausschusssitzung in der Erwartung einer Zustimmung zum sogenannten Backloading, also einer zeitweisen Herausnahme von Zertifikaten, wieder an, stürzte am Dienstag nach der Abstimmung aber wieder um 20 Prozent auf nunmehr 4,31 Euro pro Tonne CO2 ab. Denn der zuständige Berichterstatter Matthias Groote (SPD) erhielt im Umweltausschuss zunächst kein Mandat, um direkt Verhandlungen mit dem Ministerrat und der EU-Kommission über das sogenannte Backloading aufzunehmen. Diese Abstimmung könnte aber kommende Woche nachgeholt werden. Bekommt Groote das Mandat dann nicht, müsste das gesamte Europaparlament über den Vorschlag abstimmen, bevor die sogenannten Trilog-Verhandlungen zwischen dem Parlament, der Kommission und dem Rat beginnen könnten.

Im Vorfeld der Abstimmung hatte die Kampagnenorganisation Avaaz 25 000 Bürger dazu motiviert, in den Büros ihrer Europaabgeordneten anzurufen, um sie zur Zustimmung zu bewegen. Avaaz zitiert den Europaabgeordneten Karl-Heinz Florenz von der CDU, der berichtete, das Telefon in seinem Büro habe bis spät in die Nacht ununterbrochen geklingelt.
Der Emissionshandel funktioniert seit Beginn der Wirtschaftskrise nicht mehr. Sie ist aber nicht der einzige Grund für die Schieflage des wichtigsten europäischen Klimaschutzinstruments. Auch in der nunmehr dritten Handelsperiode 2008 bis 2013 sind zu viele Zertifikate ausgegeben worden. Außerdem haben sich energieintensive Unternehmen mit Billigzertifikaten außerhalb Europas eingedeckt, die den Überschuss noch verschärft haben. Dass es EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard nicht gelungen ist, den Flugverkehr wie geplant 2013 in den Emissionshandel zu integrieren, bringt weitere 500 Millionen überschüssige CO2-Zertifikate in den ohnehin zusammengebrochenen Markt. Insgesamt beträgt der Überschuss nach Berechnungen der EU-Kommission rund zwei Milliarden Zertifikate. Nach Einschätzung des Emissionshandelsexperten des Öko-Instituts, Felix Matthes, dürfte der Überschuss ohne Eingriff in den Markt bis 2025 nicht abgebaut sein – mit der Folge, dass es keinen Anreiz für klimafreundliche Investitionen gibt.
Der deutsche Europaabgeordnete Peter Liese (CDU) hat für das Backloading gestimmt. Er sagte am Dienstag: „Firmen, die veraltete Technik benutzten, werden praktisch belohnt. Deshalb halte ich den Eingriff für richtig.“ Das sieht der Verband der Chemischen Industrie (VCI) ganz anders. VCI-Präsident Karl Ludwig Kley sagte: „Greift die Politik in den Emissionshandel ein, droht das einen funktionierenden Markt aus der Bahn zu werfen.“ Kley hatte vor der Einführung des Emissionshandels 2005 als Vorstandschef von BASF vehement gegen den Emissionshandel gekämpft. Holger Lösche vom Industrieverband BDI äußerte sich am Dienstag ähnlich. Dagegen hatte der Eon-Chef Johannes Teyssen am Montag für eine Marktstützung des Emissionshandels plädiert. „Die Botschaft ist, dass es in den kommenden zehn Jahren keinen Grund gibt, in eine kohlenstoffarme Technologie zu investieren“, sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. Teyssen plädiert sogar für dauerhafte Markteingriffe. Er schlägt vor, einen Mindest- und einen Höchstpreis für die Tonne Kohlendioxid einzuführen. Der Klimaexperte der SPD im Bundestag, Frank Schwabe, sagte: „Es geht gerade um nicht weniger als die Grundsatzfrage, ob Europa in den nächsten Jahren überhaupt zu einer wirkungsvollen Klimaschutzpolitik in der Lage ist.“

Bei den weiteren Verhandlungen in Brüssel zeichnet sich ab, dass Deutschland weiterhin keine Position beziehen kann. Umweltminister Peter Altmaier (CDU) plädierte am Montagabend bei einer Veranstaltung der Schwarzkopf-Stiftung in Berlin für einen Markteingriff, um den Emissionshandel wieder zum Funktionieren zu bringen. Allerdings ist es ihm noch nicht gelungen, Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) davon zu überzeugen, der das Backloading ablehnt. Altmaier sagte dem Tagesspiegel, er wolle bei Rösler für seine Position werben, bevor der Europäische Rat sich im März mit dem Emissionshandel beschäftigt. Übrigens hat eine Twitter-Nachricht Altmaiers, die offenbar missverstanden worden war, den Preis vor ein paar Wochen kurzzeitig steigen lassen. Altmaier hatte geschrieben, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) seine Position unterstütze. Allerdings meinte er seinen Vorschlag zur Stabilisierung des Strompreises. Das stützt die These von Felix Matthes, dass der CO2-Preis längst bei Null angekommen wäre, wenn es keine Spekulation gäbe.

Ein funktionierender Emissionshandel könnte den Strompreis senken

Die Höhe des Zertifikatepreises ist für die deutsche Energiewende doppelt relevant: Zum einen bestimmt der Emissionshandelspreis teilweise den Börsenstrompreis. Von diesem wiederum hängt ab, wie viel die Verbraucher für den Ausbau erneuerbarer Energien über die EEG-Umlage bezahlen müssen. Denn es muss die Differenz zwischen dem Börsenstrompreis und der auf 20 Jahre garantierten Einspeisevergütung für Wind-, Solar- oder Biomassestrom finanziert werden. Zum anderen fließen die Auktionserlöse in den Energie- und Klimafonds, aus dem die deutsche Energiewende finanziert werden soll. Doch die Strompreisdebatte ist endgültig im parteipolitischen Nahkampf angekommen. Umweltminister Peter Altmaier (CDU) und Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) beschäftigen sich und die Opposition erfolgreich mit Notoperationen am Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Denn schon jetzt ist absehbar, dass es wegen des stetig fallenden Preises an der Strombörse in Leipzig ein beträchtliches Defizit auf dem EEG-Umlage-Konto geben wird. Die Folge wäre eine weitere Erhöhung der EEG-Umlage und damit des Strompreises für Haushalte und Gewerbe. In der vergangenen Woche hatten sich Rösler und Altmaier auf ein ziemlich unkonkretes, aber gemeinsames Konzept geeinigt. Bis zum Energiegipfel mit den Ländern bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am 20. oder 21. März soll ein einigungsfähiges Papier vorliegen.

Dabei hätten Rösler und Altmaier es in der Hand, ihr Problem viel einfacher zu lösen, und zwar dauerhafter als mit der „Strompreisbremse“. Die Klima-Expertin der Umweltstiftung WWF, Regine Günther, sagt: „Die EEG-Umlage lässt sich auch durch eine Stabilisierung des Strompreises an der Börse senken.“ Und das wiederum ließe sich erreichen, wenn der „klinisch tote Emissionshandel“ wieder belebt würde. So beschreibt ihn der Bundestagsabgeordnete und Umweltexperte Andreas Jung (CDU). Doch Deutschland verhindert das derzeit in Brüssel. Und eine einheitliche Position Deutschlands ist vorerst auch nicht in Sicht. Am Monagabend bestätigte Umweltminister Altmaier dem Tagesspiegel, dass er den Wirtschaftsminister "noch nicht" vom Backloading überzeugen konnte.

Nach Berechnungen im Auftrag des Bundesverbands Erneuerbare Energien (BEE) würde der Börsenstrompreis bei einem CO2-Preis von 30 Euro je Tonne lediglich auf rund 5,8 Cent pro Kilowattstunde steigen. BEE-Geschäftsführer Hermann Falk sagt: „Die EEG-Umlage würde in diesem Fall schlagartig auf rund 4,7 Cent pro Kilowattstunde Strom sinken.“

Im Sommer 2012 hat EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard vorgeschlagen, 900 Millionen Kohlendioxid-Zertifikate zunächst zurückzuhalten, um so den Zertifikatepreis zu stabilisieren. In einem zweiten Schritt sollen die Zertifikate ganz vom Markt genommen werden. Und zudem setzt sich Hedegaard, wie auch Altmaier, schon lange dafür ein, das europäische Klimaziel von 20 auf 30 Prozent CO2-Minderung bis 2020 im Vergleich zu 1990 zu erhöhen.

Nach Berechnungen der EU-Kommission sind 1,5 bis zwei Milliarden zu viele CO2-Zertifikate auf dem Markt. Grund: Es sind von Anfang an zu viele Zertifikate ausgegeben worden – Ergebnis erfolgreicher Lobbyarbeit, vor allem der deutschen Industrie. Dazu kam dann noch die Wirtschaftskrise seit 2008, weshalb deutlich weniger Zertifikate gebraucht worden sind. Und dann durften sich die Unternehmen in der Handelsperiode bis 2012 auch noch großzügig mit CO2-Zertifikaten aus dem Ausland eindecken. Diese Zertifikate, die durch mehr oder minder sinnvolle Klimaprojekte in Entwicklungsländern generiert werden, kosten teilweise weniger als 50 Cent pro Tonne CO2. Was von den Unternehmen bis Ende 2012 nicht verbraucht wurde, darf in die neue Handelsperiode von 2013 bis 2020 übertragen werden. Die deutschen Unternehmen verfügen nach einer Berechnung der Umweltorganisationen BUND und Sandbag aktuell über 85 Millionen CO2-Zertifikate mehr, als ihre jährlichen Emissionen es verlangen würden. Und trotz des geringen Preises für die Zertifikate ist ihr Verkauf beispielsweise für den Stahlkonzern Arcelor Mittal ein ausreichend gutes Geschäft, um die eigene Bilanz etwas zu schönen. Im vergangenen Jahr hat Arcelor Mittal mit überschüssigen CO2-Zertifikaten einen Gewinn von 200 Millionen Euro gemacht. Nach Informationen des deutschen Europaabgeordneten Peter Liese (CDU) hat allein der Stahlkonzern Thyssen-Krupp durch die kostenlos ausgegebenen Emissionszertifikate einen Zusatzgewinn von 352 Millionen Euro gemacht. Das Beratungsunternehmen Arepo Consult kommt in einer aktuellen Studie für die Linksfraktion zu dem Schluss, dass die deutschen Unternehmen durch die kostenlose Vergabe von Emissionszertifikaten im Jahr 2013 einen Zusatzgewinn von 1,1 Milliarden Euro erzielen können. Die Studie berechnet den Gesamtumfang der Industrieprivilegien auch bei der Öko-Steuer und der EEG-Umlage und kommt auf eine Gesamtsumme von 16 Milliarden Euro Industrieprivilegien für das Jahr 2013.

Inzwischen sind sogar deutsche Großkonzerne der Meinung, dass die Regierung Hedegaards Plan unterstützen sollte. In einem offenen Brief unterstützten Alstom, Shell, EnBW, Eon, Otto und Puma das Konzept. Weil Rösler beim Emissionshandel blockiert, ist Deutschland in den Brüsseler Verhandlungen derzeit inexistent. Andreas Jung sagte dem Tagesspiegel: „Der Wirtschaftsminister muss seine Blockade aufgeben.“ Es könne doch nicht in seinem Sinne sein, „das marktwirtschaftlichste Klimaschutzinstrument kaputt zu machen“. Die Alternative seien mehr Gesetze und „damit Planwirtschaft“. Auch Jung weist darauf hin, dass eine Stabilisierung des Emissionshandels die Börsenpreise für den Strom stabilisieren könnten. Das würde Druck aus der EEG-Umlage nehmen. Und die Regierung müsste nicht befürchten, dass der Energiewende- und Klimafonds leer bleibt. Der Fonds sollte mit den Versteigerungserlösen aus dem Emissionshandel gefüllt werden. Der Zertifikatepreis liegt konstant unter fünf Euro pro Tonne CO2 mit dem Ergebnis, dass die Auktionen vorläufig ausgesetzt sind. Jung sagt zu Röslers Weigerung, den Emissionshandel wieder wirksam zu machen: „Es gibt objektiv keine Argumente.“ Aus dem Bundeswirtschaftsministerium heißt es lapidar: "Der Wirtschaftsminister hat seine Position nicht geändert."

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