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Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, nimmt an einem Pressegespräch im Düsseldorfer Landtag teil.

© dpa/Thomas Banneyer

Update

Koalition streitet über Stromsteuer-Senkung: NRW-Ministerpräsident Wüst warnt Klingbeil vor Bruch des Koalitionsvertrags

In den Haushaltsplanungen fällt die angekündigte Senkung der Stromsteuer nur halb so groß aus wie versprochen. Dagegen gibt es heftigen Widerspruch – und Uneinigkeit bei den Regierungsparteien.

Stand:

Die Haushaltsplanung von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil sieht keine generelle Senkung der Stromsteuer vor. Während die Industrie entlastet wird, sollen Handwerk, Handel und Privatverbraucher nach den Plänen des SPD-Politikers leer ausgehen. Scharfe Kritik daran gibt es nicht nur von Opposition und Verbänden, sondern nun auch aus den Reihen des Koalitionspartners.

Mit seinen Plänen für die Bundeshaushalte 2025 und 2026 stoße Klingbeil nicht nur Handwerk, Handel und Dienstleistungsgewerbe, sondern auch Millionen Familien in Deutschland vor den Kopf, sagte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Auch sie bräuchten dringend eine spürbare Entlastung von den viel zu hohen Strompreisen. 

Die Stromsteuer muss für alle runter.

 Alexander Hoffmann, Chef der CSU-Abgeordneten im Bundestag

Wüst verwies darauf, dass die Senkung der Stromsteuer zu den wichtigsten wirtschaftspolitischen Versprechen im Bundestagswahlkampf gehört habe und sie im Koalitionsvertrag eindeutig beschlossen sei. „Mit Blick auf die Erwartungshaltung der Menschen an die neue Bundesregierung kann ich Lars Klingbeil nur davor warnen, an dieser entscheidenden Stelle einen Bruch des Koalitionsvertrags zu verursachen.“

CDU-Generalsekretär Linnemann mahnt Änderung an

Nach dem Haushaltsentwurf des Finanzministers soll eine im Koalitionsvertrag angekündigte Reduzierung der Stromsteuer für alle auf das europäische Mindestmaß erst einmal nicht kommen. Ein Sprecher Klingbeils verwies auf Haushaltszwänge. Private Haushalte sollen demnach bei der Gasspeicherumlage sowie den Netzentgelten entlastet werden.

CDU-General Carsten Linnemann forderte Klingbeil nun auf, die Stromsteuer doch noch für alle zu senken. „Sie ist gedacht als Kompensation für den CO₂-Preis“, sagte Linnemann der „Bild“: „Das ist gerade mit Blick auf die Akzeptanz der Energiewende dringend notwendig.“

Sein Kollege von der SPD wies die Vorwürfe gegen den Minister von der SPD zurück. Der Beschluss zur Stromsteuer sei „selbstverständlich eng in der Koalition abgestimmt“, so SPD-General Tim Klüssendorf.

Zerknirscht zeigte sich dem Bericht zufolge Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU): „Das ist nicht Larsens Schuld (Lars Klingbeil, d. Red.).“ Mehr sagte sie demnach nicht.

Tatsächlich ist es so, dass man nicht alles, was man gerne machen würde, auch tatsächlich realisieren kann.

Thorsten Frei, Chef des Bundeskanzleramts (CDU)

Der Chef des Bundeskanzleramts, Thorsten Frei (CDU) macht wenig Hoffnung auf eine schnelle Entlastung der Bürgerinnen und Bürger. „Tatsächlich ist es so, dass man nicht alles, was man gerne machen würde, auch tatsächlich realisieren kann. Und wir haben eben die Situation, dass wir eine angespannte Haushaltslage haben und deswegen schauen müssen, wie wir damit umgehen“ sagte er dem Sender Welt TV.

Das Kabinett habe den Haushaltsplanentwurf gemeinschaftlich beschlossen. „Im parlamentarischen Verfahren wird man schauen, ob man an der einen oder anderen Stelle noch bessere Alternativen findet. Aber da muss man, glaube ich, ganz nüchtern daran gehen und schauen, wie man die berechtigten Wünsche und Erwartungen, die wir haben, auch mit der Haushaltsrealität in Einklang bringen kann“, so Frei. Zielsetzung bleibe, die Stromsteuer auch breiter zu senken. 

Zuvor hatte bereits die CSU in der schwarz-roten Koalition auf eine breite Senkung der Stromsteuer gepocht. „Die Stromsteuer muss für alle runter“, sagte der Chef der CSU-Abgeordneten im Bundestag, Alexander Hoffmann, der Deutschen Presse-Agentur. „Wir haben diese Entlastung nicht nur für die Industrie und die Landwirtschaft, sondern für alle Wirtschaftsbereiche und die Verbraucher vereinbart, die genauso unter den hohen Energiepreisen leiden.“ Eine einseitige Absenkung sei mit der CSU nicht zu machen. 

Widerspruch gab es auch aus Klingbeils Partei. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) rief die Bundesregierung ebenfalls zu einer Entlastung für die gesamte Wirtschaft auf. „Es hilft uns nicht, wenn Industrie und Landwirtschaft gesenkte Strompreise haben, aber der ganze Mittelstand geht leer aus“, sagte Woidke einem Bericht der Nachrichtenagentur dpa zufolge bei der Eröffnung des Sommerfests der Landesregierung. „Wir brauchen Fairness – und das heißt alle Wirtschaftsbereiche. Und ich hoffe, dass die Bundesregierung über diese Fragen noch nachdenkt.“

Die Stromsteuer sollte – wie es im Koalitionsvertrag vereinbart ist – generell entfallen.

Veronika Grimm, Wirtschaftsweise

Die Grünen hatten Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am Mittwoch bereits attackiert. „Friedrich Merz ist schon jetzt der Wortbruch-Kanzler“, sagte Co-Parteichef Felix Banaszak. 

Auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm kritisiert die nun bekannt gewordenen Pläne. „Die Stromsteuer sollte – wie es im Koalitionsvertrag vereinbart ist – generell entfallen. Dies würde Unternehmen und Bürger entlasten, die Elektrifizierung attraktiver machen und zudem einen Abbau von Bürokratie bedeuten“, sagte Grimm der „Rheinischen Post“.

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Veronika Grimm spricht auf einer Pressekonferenz.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Sie betonte mit Blick auf das Klima: „Im Zuge der Transformation zur Klimaneutralität wird schon lange empfohlen, nicht den Stromverbrauch, sondern die CO₂-Emissionen zu belasten.“

Steuerzahler-Präsident Reiner Holznagel sagte zu den Klingbeil-Plänen der „Bild“: „Das ist kein kleiner Kurswechsel, das ist ein Wortbruch!“

Ähnlich äußerte sich der Sozialverband Deutschland SoVD. „Es ist traurig, dass Union und SPD ihre Versprechen aus dem Koalitionsvertrag brechen“, sagte die SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Die Entscheidung, Energie nur für Unternehmen billiger zu machen und nicht für die Verbraucher, halten wir für das absolut falsche Zeichen.“ Gerade Menschen mit geringen Einkommen oder kleinen Renten würden besonders unter den hohen Verbraucherpreisen ächzen, sagte Engelmeier.

Der Verband wisse aus seiner Sozialberatung: Durch die stetig angestiegenen Preise für Lebensmittel, Mieten und eben auch Energie bleibe für viele am Ende des Monats kaum noch etwas übrig. „Hier hätte eine Senkung der Stromsteuer einiges abfedern können“, sagte die SoVD-Chefin.

Kritisch äußerte sich auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer. DIHK-Präsident Peter Adrian sprach von einem Schlag ins Gesicht für viele Unternehmen. Die Regierung habe dies ausdrücklich als Sofortmaßnahme verkauft. „Niemand versteht, warum trotz der geplanten Rekord-Verschuldung diese ohnehin recht kleine, aber sehr wichtige Entlastung nicht möglich sein soll.“ Nun werde die Entlastung nur bei einem Bruchteil der Unternehmen in Deutschland ankommen.

Auch der Einzelhandel hatte die Pläne für nur eine begrenzte Senkung der Stromsteuer kritisiert. Es dürften nicht nur ausgewählte Branchen profitieren, sagte der Präsident des Handelsverbands HDE, Alexander von Preen, am Mittwoch. „Mit einem solchen Bruch des Koalitionsvertrages verspielt die Regierung das Vertrauen des Handels und reißt den Unternehmen den Boden unter den Füßen weg.“ Im Koalitionsvertrag von Union und SPD sei eindeutig festgelegt, dass die Stromsteuer für alle auf das europäische Minimum gesenkt werden solle.

Die Verbraucherzentrale Bundesverband betonte, Haushalte in Deutschland zahlten im europäischen Vergleich die höchsten Strompreise. „Die Entlastung der Menschen bei den Energiepreisen war eines der zentralen Wahlversprechen der Koalitionsparteien.“ Es dürfe keine Abkehr davon geben. „Der Vertrauensverlust wäre immens.“

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