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Ein Mädchen mit Kopftuch im Unterricht. Dass der Stoff den Unterricht stört, dürfte schwer zu begründen sein.

© Monika Skolimowska/dpa

Kopftuchverbot für Schülerinnen: Religion ist noch keine Perversion

Alte Debatte, neue Vorzeichen: Anti-Kopftuch-Erlasse in Schulen gelten jetzt als liberales Programm mit Me-Too-Touch. Die Integration kommt damit keinen Schritt weiter. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Der Vorstoß aus Nordrhein-Westfalen, muslimischen Schulmädchen das Kopftuch untersagen zu wollen, findet Widerhall. Die liberale FDP, als liberal bezeichnete Muslime, Lehrerverbände, deren Mitglieder sich mutmaßlich vielfach auch als irgendwie liberal sehen, und der in seiner CDU als liberal geltende NRW-Ministerpräsident Armin Laschet machen sich stark dafür.

Die freiheitliche Weltsicht, die dahinter stehen soll, hat die Verbots-Befürworter Kopftücher der Kinder als Knebel der Eltern erkennen lassen. Erst ab 14 Jahren, mit Eintritt der Religionsmündigkeit also, mag sich die nunmehr Jugendliche für oder gegen den Stoff entscheiden. Vorher, so bringt es die NRW-Staatssekretärin für Integration auf den Punkt, sei es „pure Perversion“, ihn den Mädchen überstülpen zu wollen, weil sie dadurch „sexualisiert“ würden.

Auffallend an der Debatte ist neben der Aktualisierung dessen, was bisher als liberale Politik verstanden wurde, die Anlehnung an typischerweise eher linke Emanzipationsrhetorik mit einem Schuss Me-Too-Gefühl: Muslimische Eltern, die ihre Töchter dazu anhalten, sich die Haare zu verhüllen, würdigen sie damit zu Sexobjekten herab. Jeder, der ein Steinchen auf Dieter Wedel geworfen hat, wer überhaupt Frauen vor männlichen Übergriffen schützen will, der kann hier doch nicht gleichgültig danebenstehen, oder?

Die vorerst einzige Perversion, die sich in dieser Debatte spiegelt, ist jedoch die Verkehrung des Problems. In Religionsfragen die kindliche Selbstbestimmung prinzipiell gegen das Elternrecht auszuspielen, führt geradewegs in einen deutlich dramatischeren Konflikt, jenen um die religiöse Beschneidung von Jungen, wie Muslime und Juden sie oftmals für unverzichtbar halten. Es ist dem Staat nicht von vornherein verwehrt, in solche religiösen Angelegenheiten mit Verboten hineinzuregieren – aber wenn, dann sollte er es zunächst bei schweren und vor allem irreversiblen körperlichen Eingriffen und gegenüber allen Religionen gleichermaßen tun. Eine Vorhaut ist kein Kopftuch, das man einfach an- und ablegen kann. Dass verantwortliche Politiker hier „pure Perversion“ ausmachen, ist allerdings bisher nicht bekannt geworden.

Es könnten derartige Erwägungen sein, die den NRW-Vorstoß noch im Stadium seiner Prüfung scheitern lassen. Er ist, auch im Hinblick auf verfassungsrechtliche Hürden, mehr als fragwürdig. Die Länder haben mit ihren multiplen Versuchen, muslimischen Lehrerinnen das Kopftuch abzugewöhnen, eher schlechte Erfahrungen gemacht. Dass Schülerinnen mit Kopftuch den Unterricht stören oder sonst eine Gefahr darstellen, wird man zudem ernstlich kaum behaupten können. Eine Gefahr liegt vielmehr darin, dass gläubige Muslime ihre Kinder künftig nicht mehr zur Schule schicken, wenn derartige Verbote erlassen werden.

Möglich daher, dass der Vorschlag mehr die eigene Ventilation bezweckt als seine Verwirklichung. Richtig bleibt indes, dass die Schule eine wichtige, vielleicht die wichtigste Stätte ist, um Integration einzuüben, um Verständnis und Ausdruck zu erlernen. Es sollte alle Mühe und viel Geld wert sein, sie dafür zu rüsten. Kopftuchverbote sind zu billig.

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