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European Parliament vice president, Greek socialist Eva Kaili, is seen at the European Parliament in Strasbourg, France November 22, 2022.  European Union 2022 - Source : EP/­Handout via REUTERS  ATTENTION EDITORS - THIS IMAGE WAS PROVIDED BY A THIRD PARTY.  NO RESALES. NO ARCHIVES

© Reuters/European Parliament/Handout

„Angriff auf die europäische Demokratie“: Was bisher über die EU-Korruptionsaffäre bekannt ist

Brüsseler Filz: Wem wird was vorgeworfen in dem Fall um die abgesetzte Vizepräsidentin Eva Kaili? Ein Überblick.

Nach der Festnahme der inzwischen abgesetzten Vizepräsidentin des EU-Parlaments Eva Kaili wegen Korruptionsvorwürfen wächst die Sorge im Abgeordnetenhaus, dass sich der Skandal ausweiten könnte. Abgeordnete und Mitarbeiter sind schockiert angesichts der Festnahmen und Razzien in Brüssel - und befürchten, dass nun weitere Fälle ans Licht kommen.

EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola wertet die mutmaßliche Bestechung ihrer Vertreterin Eva Kaili als Angriff auf die europäische Demokratie. Ein Überblick:

Wer ist Eva Kaili?

Eva Kaili galt als eine der großen Hoffnungen im Brüsseler Politik-Betrieb. Nach einer steilen Karriere in ihrer Heimat Griechenland machte sie sich auch in der EU schnell als erfolgreiche Strippenzieherin einen Namen. Mit nur 26 Jahren wurde die studierte Architektin in den Stadtrat ihrer Geburtsstadt Thessaloniki gewählt.

Zuvor hatte sie schon als Moderatorin beim quotenstarken Privatsender Mega TV auf sich aufmerksam gemacht. Schnell wurde man bei der sozialistischen Partei Pasok auf Kaili aufmerksam. 2007 wurde sie im Alter von 29 Jahren erstmals für Pasok ins Nationalparlament von Athen gewählt. Nebenbei schloss sie ein Master-Studium in Internationalen und Europäischen Beziehungen ab.

2014 zog Kaili ins Europarlament ein. Vor einem Jahr wurde sie zu einer der 14 Stellvertreterinnen und Stellvertreter von EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola gewählt.

Ihre Position ist, dass sie unschuldig ist. Sie hat nichts mit Geldflüssen aus Katar zu tun, überhaupt nichts.

 Michalis Dimitrakopoulos, Anwalt der beschuldigten Eva Kaili

Privat ist Kaili mit einem italienischen Politik-Berater liiert, der ebenfalls von der Polizei festgenommen wurde. Kaili selbst ließ über ihren Anwalt am Dienstag ihre Unschuld beteuern. „Ihre Position ist, dass sie unschuldig ist. Sie hat nichts mit Geldflüssen aus Katar zu tun, überhaupt nichts“, sagte Michalis Dimitrakopoulos dem griechischen Fernsehsender Open.

Die Rolle von Roberta Metsola

Die Parlamentspräsidentin Roberta Metsola entwickelte sich im Skandal um Eva Kaili schnell zur Frontfrau im Kampf gegen die Korruption in ihrem Haus. Kaum waren die Ermittlungen gegen ihre Stellvertreterin bekanntgeworden, entzog sie ihr alle Kompetenzen. Metsola berief sofort eine sogenannte Konferenz der Präsidenten ein, an der alle Vorsitzenden der Fraktionen im Europaparlament teilnahmen.

Roberta Metsola, Präsidentin des Europäischen Parlaments, hat die mutmaßliche Bestechung ihrer Vertreterin Kaili als Angriff auf die europäische Demokratie bezeichnet.
Roberta Metsola, Präsidentin des Europäischen Parlaments, hat die mutmaßliche Bestechung ihrer Vertreterin Kaili als Angriff auf die europäische Demokratie bezeichnet.

© Foto: dpa/FREDERICK FLORIN

Das Ziel: die Absetzung von Eva Kaili als Parlamentsvize. Im Parlament sprach Metsola am Montag angesichts des Skandal sichtlich empört über ihre Wut. Sie betonte, das Europäische Parlament werde „angegriffen, die europäische Demokratie wird angegriffen, und unsere Art der offenen, freien, demokratischen Gesellschaften wird angegriffen“. Dass die 43-Jährige Mut hat, bewies sie bereits Anfang des Jahres. Als erste hohe Repräsentantin der EU reiste sie im Krieg nach Kiew und sagte der Ukraine Hilfe zu.

Was hat Eva Kaili getan?

In den Mitteilungen der Ermittler fällt nie der Name Katar. Öffentlich machten die Beamten aber, dass ein Golfstaat mit viel Geld und teuren Geschenken „die wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen des Europäischen Parlaments zu beeinflussen“ versucht hat. Mit der Festnahme von Eva Kaili wird allerdings schnell deutlich, dass es sich nur um Katar handeln kann. Die EU-Politikerin war Teil einer Delegation, die die Beziehungen zu dem Emirat ausbauen wollte.

Kurz vor Beginn der Fußball-WM reiste sie nach Katar und lobte danach das Land in den höchsten Tönen. Es habe sich ein „historischer Wandel“ in dem Land vollzogen, der „die arabische Welt inspiriert“ habe.

Ungewöhnlich auch, dass sie im Dezember an einer Abstimmung über erleichterte Visa-Regeln für Katar teilnahm – obwohl sie selbst kein Mitglied im entsprechenden Ausschuss ist. Das erstaunte zwar einige Abgeordnete, erregte damals allerdings keinen Verdacht. Nach Parlamentsregeln ist es möglich, dass Ausschussmitglieder bei Abstimmungen auch durch Nichtmitglieder ersetzt werden.

Wer wird noch beschuldigt?

In diesem Korruptionsfall führen sehr viele Wege nach Rom, denn viele Verdächtige sind italienische Staatsbürger. Mit verstrickt ist der Lebensgefährte von Eva Kaili. Francesco Giorgi ist ehemaliger parlamentarischer Assistent und Spezialist für Menschenrechtsfragen. Die beiden haben eine kleine Tochter.

Eva Kaili mit ihrem Lebensgefährten Francesco Giorgi, der ebenfalls in Untersuchungshaft sitzt.
Eva Kaili mit ihrem Lebensgefährten Francesco Giorgi, der ebenfalls in Untersuchungshaft sitzt.

© Foto: AFP/STR

Im Mittelpunkt der Ermittlungen steht allerdings Antonio Panzeri. Der 67-Jährige saß für die Sozialdemokraten lange Jahre im Europaparlament, war Gewerkschafter und gründete dann eine Nichtregierungsorganisation zum Kampf für Menschenrechte mit dem wohlklingenden Namen Fight Impunity. Auch dessen Frau und seine Tochter - letztere eine Anwältin unter anderem für Europarecht - wurden festgenommen und anschließend unter Hausarrest gestellt. Ihnen wird Begünstigung vorgeworfen.

Auf die Schliche kamen ihnen die Ermittler über abgehörte Telefonate. So soll Panzeris Frau ihrem Mann in einem Gespräch gesagt haben: „Wir dürfen nicht wieder 100.000 Euro für den Urlaub ausgeben wie letztes Jahr.“ Sie sprach dabei von „zwielichtigen Machenschaften“.

Gegen den ehemaligen Abgeordneten Pier Antonio Panzeri wird ebenfalls ermittelt.
Gegen den ehemaligen Abgeordneten Pier Antonio Panzeri wird ebenfalls ermittelt.

© AFP/EU/Marc Dossmann

Durchsucht wurde inzwischen auch das Haus eines weiteren Europa-Abgeordneten. Der belgische Sozialdemokrat Marc Tarabella weist aber alle Verstrickungen in den Skandal weit von sich. Seine Partei teilte mit, Tarabella vor ein parteiinternes Gremium zitiert zu haben.

Die Reaktion aus Katar

Die Reaktion aus Katar zu den Korruptionsvorwürfen ist kurz und trocken: „Jede Verbindung der katarischen Regierung mit den berichteten Vorwürfen ist grundlos und gravierend uninformiert“, heißt es aus dem Außenministerium in Doha.

Weiter wird versichert, das Land handle nur nach den international gültigen Regeln und Gesetzen. Dieselben Aussagen sind auch in den vergangenen Jahren immer wieder gefallen, wenn es im Rahmen der Vergabe der Fußball-WM um Korruption, die Menschenrechte oder auch die Situation der ausländischen Arbeiter an den Stadien in dem Emirat ging.

Ali bin Samikh Al Marri, Katars Arbeitsminister, im Gespräch mit Eva Kaili im Oktober dieses Jahres.
Ali bin Samikh Al Marri, Katars Arbeitsminister, im Gespräch mit Eva Kaili im Oktober dieses Jahres.

© Foto: REUTERS/TWITTER/MINISTRY OF LABOUR - STATE OF QATAR

Katar bestritt auch dann noch jede Form der Bestechung, als bereits erste Mitglieder des damaligen FIFA-Exekutivkomitees, das 2010 die WM in die Wüste vergeben hatte, der Korruption überführt worden waren.

Auch Eva Kaili stand fest an der Seite des Emirats. Das Land habe sich der Welt geöffnet, erklärte die nun geschasste EU-Politikerin und kritisierte bei ihrer Rede im November vor dem Parlament: „Dennoch rufen einige hier dazu auf, sie (die Katarer) zu diskriminieren. Sie schikanieren sie und beschuldigen jeden, der mit ihnen spricht, der Korruption.“

Wie reagiert das Parlament?

Die Fraktionsvorsitzenden im Europaparlament haben sich einstimmig dafür ausgesprochen, die unter Korruptionsverdacht stehende Eva Kaili als Vizepräsidentin abzusetzen. Das Parlament stimmte dieser Entscheidung am Dienstag zu. Der Linken-Vorsitzende Martin Schirdewan brachte am Dienstag die Frustration der Abgeordneten zum Ausdruck. „Da Eva Kaili nicht den Anstand besessen hat, von sich aus zurückzutreten, haben die Fraktionsvorsitzenden handeln müssen“, sagte er.

Da Eva Kaili nicht den Anstand besessen hat, von sich aus zurückzutreten, haben die Fraktionsvorsitzenden handeln müssen

Martin Schirdewan, Parteivorsitzender der Linken

Eine breite Mehrheit der Abgeordneten fordert die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, auch wollen die Politiker die Transparenzregeln des Parlaments verschärfen.

Zudem wird es eine mögliche Visa-Erleichterung für Katar so bald nicht geben. Zwar hatte der zuständige Ausschuss Anfang Dezember dafür gestimmt, jedoch verwies das Plenum angesichts der jüngsten Enthüllungen das Dossier am Montag zurück an das Gremium.

Möglich ist, dass der Skandal aber noch weitere Kreise zieht. Belgische Fahnder haben am Montag mehrere Räumlichkeiten des Parlamentsgebäudes in Brüssel durchsucht. Dabei sollten Daten elektronischer Geräte aus den Büros von zehn Abgeordneten sichergestellt werden, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte.

Der Spott des Victor Orban

Für große Schadenfreude sorgte der Korruptionsskandal bei Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban. Über Twitter verspottete er das Parlament. Auch Orbans Parteifreund, der Europa-Abgeordnete Balazs Hidveghi, schrieb dazu auf Twitter: „Ein gutes Beispiel für Heuchelei.“

Die Seitenhiebe aus Budapest kommen zu einem Zeitpunkt, zu dem Ungarn im Streit mit der EU-Kommission um Rechtsstaats-Probleme und Reformen zur Korruptionsbekämpfung der Entzug von insgesamt mehr als 13 Milliarden Euro droht. Das EU-Parlament fordert die Kommission regelmäßig auf, gegenüber Ungarn eine harte Linie zu vertreten.

Möglicherweise hat der Spott aus Budapest nun das Fass zum Überlaufen gebracht. Die EU-Staaten einigten sich am Dienstag darauf, Ungarn mehrere Milliarden Subventionen nicht auszuzahlen.

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