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Politik: Krach im Kabinett: Als die Verfassung der Türkei fliegen lernte

Ausgerechnet mit einem Verfassungstext bewarfen sich der türkische Staatspräsident und Regierungsmitglieder in der monatlichen Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates. "Sie kennen wohl die Verfassung nicht", schnauzte Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer die Kabinettsmitglieder an, die ihm das Recht zu eigenen Untersuchungen der Korruption im Bankenwesen absprechen wollten.

Ausgerechnet mit einem Verfassungstext bewarfen sich der türkische Staatspräsident und Regierungsmitglieder in der monatlichen Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates. "Sie kennen wohl die Verfassung nicht", schnauzte Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer die Kabinettsmitglieder an, die ihm das Recht zu eigenen Untersuchungen der Korruption im Bankenwesen absprechen wollten. "Da, dann lesen Sie doch nach" - und warf das Büchlein quer durch den Raum auf den Tisch von Ministerpräsident Bülent Ecevit. "Sie sind es, der die Verfassung nicht kennt", ereiferte sich darauf Vize-Premier Hüsamettin Özkan und schleuderte den Band zum Präsidenten zurück. "Vergessen sie nicht, wer Sie ins Amt gebracht hat."

Zurück bleibt in Ankara nach diesem Krach ein Scherbenhaufen. Zwar bemühte sich die Regierung am Dienstag um Schadensbegrenzung, doch dürfte sie damit noch länger beschäftigt sein. Der türkischen Wirtschaft entstand binnen Stunden ein Schaden in Milliardenhöhe, wobei der mittelfristige Schaden noch gar nicht zu beziffern ist. Innenpolitisch droht ein Kalter Krieg zwischen den Verfassungsorganen, der das Land auf Monate hinaus beuteln könnte. Und auf dem Gebiet der Außenpolitik wurde wieder einmal der EU-Beitrittsprozess in Mitleidenschaft gezogen.

Eigentlich hätte der Nationale Sicherheitsrat das von Brüssel dringend erwartete "Nationale Programm" der Türkei für den EU-Beitritt beraten sollen, doch weil man nicht einmal zur Tagesordnung vordrang, blieb das Papier wieder einmal liegen. Ecevit lenkte am Dienstag zwar ein und schlug vor, die Sitzung nächste Woche nachzuholen, doch bei EU-Diplomaten in Ankara blieb angesichts des kapriziösen Beitrittspartners ein bitterer Nachgeschmack zurück. Die Sache sehe nicht gut aus, hieß es.

Der EU-Beitritt war am Tag nach dem großen Krach ohnehin nicht die größte Sorge der Türken. Die türkische Zentralbank war um fast fünf Milliarden Dollar ärmer, die sie angesichts einer Massenflucht aus der Lira herausrücken musste. Die Istanbuler Börse konnte nur 0,3 Prozent wieder gutmachen, nachdem sie am Montag um 14,6 Prozent abgestürzt war - ein Zeichen dafür, dass das Vertrauen der Investoren nicht so schnell wieder zu gewinnen sein wird. Unsicher blieb auch noch, wie Präsident und Regierungschef künftig miteinander auskommen wollen. Beide Seiten schlossen einen Rücktritt bereits aus, keine Seite kann die andere des Amtes entheben - und doch ist spätestens seit Montag klar, dass sie auch nicht mehr zusammenleben können.

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