zum Hauptinhalt
Maskierte Polizisten gehen an dem Gebäude vorbei, in dem der Mehrfach-Attentäter Mohamed Merah lebte.

© AFP

Kritik nach Drama in Toulouse: Warum wurde Merah nicht früher gefasst?

Nach der Terrorserie in Frankreich werden Vorwürfe gegen Geheimdienste und Polizei laut. Die Polizei ist weiter im Alarmzustand, auf einem zentralen Platz in Toulouse wurde ein verdächtiges Paket gesprengt. Sarkozy will die Nutzung islamistischer Websites strafbar machen.

Nach dem Terrordrama von Toulouse muss sich die französische Regierung vielseitiger Kritik wegen möglicher Versäumnisse der Nachrichtendienste sowie eventueller Fehlleistungen der Einsatzkräfte erwehren. Es gebe „kein Element“, das es erlaubt hätte, Mohamed Merah, den mutmaßlichen Mörder von drei Soldaten sowie drei Kindern und einem Lehrer einer jüdischen Schule, früher zu fassen, sagte der konservative Premierminister François Fillon am Freitag im Rundfunk. „In einem Land wie dem unseren haben wir kein Recht, jemanden, der kein Delikt begangen hat, ohne richterliche Erlaubnis permanent zu überwachen. Wir leben in einem Rechtsstaat.“

Im Zentrum der südfranzösischen Stadt Toulouse haben Spezialisten am Freitagabend ein verdächtiges Paket gesprengt. Wie eine Reporterin der Nachrichtenagentur AFP berichtete, wurde der Kapitol-Platz zuvor geräumt und abgesperrt. Das Paket habe sich als harmlos herausgestellt, sagte ein Sprecher der Feuerwehr nach der Sprengung. Eine Polizeisprecherin sagte nach der Sprengung des Pakets, die Sicherheitskräfte hätten die „üblichen Verfahrensweisen“ befolgt. Wenn es ein verdächtiges Paket gebe und der Kampfmittelräumdienst aktiv werde, müssten „möglichst viele Menschen“ in Sicherheit gebracht werden.

Der 23-jährige Merah war am Dienstag in einem ruhigen Viertel der südfranzösischen Stadt aufgespürt worden. Beim Sturm der Antiterroreinheit Raid der Polizei auf die Wohnung, in der er sich 32 Stunden lang schwer bewaffnet verschanzt hatte, wurde er von einem Scharfschützen durch einen Kopfschuss getötet, während er vom Balkon sprang. Die französischen Behörden sehen offenbar keine Verbindung zwischen Merah und dem Terrornetzwerk Al Qaida. Es gebe keine Belege dafür, dass der Mann „von organisierten Gruppen oder Dschihadisten trainiert wurde oder Kontakt zu ihnen hatte“, sagte ein mit den Ermittlungen vertrauter Beamter am Freitag.

Vorgeschichte, Verlauf und Ausgang des dramatischen Geschehens, das Frankreich tagelang in Atem hielt, haben in der Öffentlichkeit Fragen nach einem Versagen des Inlandsgeheimdienstes DCRI aufgeworfen. Warum wurde Merah nach seinen Aufenthalten in Afghanistan und Pakistan zwar vernommen, nicht aber weiter überwacht? „Hat der Dienst, der seine ganz Macht einzusetzen weiß, um Journalisten zu beschnüffeln, hier versagt?“ fragt die Zeitung „Libération“. Und warum war es entgegen der erklärten Absicht von Innenminister Claude Guéant nicht möglich, Merah lebend zu fassen?

Dem Triumph von Präsident Nicolas Sarkozy und seiner Regierung begegnet die Öffentlichkeit mit wachsender Skepsis. François Hollande, der sozialistische Präsidentschaftskandidat, der sich zuletzt mit Kritik an der Regierung zurückgehalten hatte, widersprach jetzt dem Premierminister mit der Feststellung, die Beobachtung Merahs weise „Versäumnisse“ auf. Nötig sei künftig eine effiziente Koordination der verschiedenen Nachrichtendienste. Nun bekannte auch Verteidigungsminister Gérard Longuet, es sei ein Fehler gewesen, nach dem ersten Soldatenmord nicht sofort die Dienste einzuschalten. „Wir hätten viel Zeit gewinnen können“, räumte er ein. Nach dem ersten Attentat am 11. März liefen nur routinemäßige Ermittlungen an.

Die schärfste Kritik äußerten zwei Sicherheitsexperten, der frühere Direktor des Londoner Instituts für strategische Studien, François Heisbourg, und Christian Prouteau, der Gründer der Spezialtruppe GIGN der Gendarmerie. Heisbourg meint, Merah sei nicht überwacht worden, wie es geboten gewesen wäre. Zur Begründung führt er einen Zeitungsartikel über Merah an, der auf Informationen aus Geheimdienstquellen beruhte, während dieselben Dienste jetzt behaupten, sie hätten über ihn nicht viel gewusst. Ebenso kritisiert er die Staatsanwaltschaft, die erklärte, sie habe lange nach Merahs Wohnsitz suchen müssen, wo er doch mit Adresse und Telefonnummer bei der Polizei bekannt war. Prouteau wundert sich, dass es dem Antiterrorkommando Raid der Polizei nicht gelang, Merah lebend zu überwältigen. „Man hätte die Wohnung mit Tränengas vollpumpen müssen, das hätte er keine fünf Minuten ausgehalten“, sagte er der Zeitung „Ouest-France“. Der Einsatz sei „ohne klares taktisches Schema“ erfolgt.

Auf Zweifel stößt auch die Forderung von Präsident Sarkozy, im Parlament noch vor der Präsidentenwahl ein Gesetz einzubringen, welches das wiederholte Aufrufen von Internetseiten, „die den Terrorismus verherrlichen und zu Hass und Gewalt aufrufen“, unter Strafe zu stellen. Ein solches Gesetz würde nicht vor dem Verfassungsrat bestehen und praktisch kaum anwendbar sein. Als „Gestikulation“ bezeichnete François Rebsamen, der Rechtsexperte in Hollandes Wahlkampfstab, die Forderung des Präsidenten: „Mit uns wird es das nicht geben.“ (mit AFP)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false