zum Hauptinhalt

Kundus-Affäre: Wort und Wahrheit

In der Kundus-Affäre beklagt die Opposition mangelnden Aufklärungswillen der Regierung. Was haben Merkel und Jung wann gesagt?

Von Michael Schmidt

Berlin - Die Grünen verschärfen ihre Kritik an der Informationspolitik der Bundesregierung nach dem Bombardement von Kundus. Verteidigungsexperte Tom Koenigs griff Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) am Freitag im ZDF wegen seines Auftritts vor dem Bundestags-Untersuchungsausschuss am Vortag scharf an. Jung habe „seinem Ruf Ehre gemacht, Experte im Schweigen und Verschweigen zu sein“. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hielt er vor, sie hätte sagen müssen, dass der Luftschlag mit dem Tod vieler Zivilisten ein Fehler gewesen sei. „Warum hat sie sich nicht von Anfang an an die Aufklärung gemacht? Warum hat sie Kritik zurückgewiesen?“ Das Kanzleramt hatte nach Regierungsangaben schon Stunden nach dem Angriff Hinweise auf zivile Opfer. Das geht aus einer internen Mail hervor, in der unter Berufung auf eine „unverbindliche Erstinfo“ des Bundesnachrichtendienstes (BND) von 50 bis 100 toten Zivilisten die Rede ist.

Die damalige schwarz-rote Bundesregierung hatte wochenlang keine klare Aussage dazu gemacht, ob es im Zusammenhang mit dem Bombardement vom 4. September 2009, bei dem nach heutigen Erkenntnissen 142 Menschen getötet oder verletzt wurden, zivile Opfer gab.

Jung dementierte das zunächst. Noch drei Tage nach dem Luftschlag verbreitete er, es seien „ausschließlich terroristische Taliban“ getroffen worden und der Kommandeur vor Ort habe „klare Hinweise“ gehabt, dass es sich bei den Personen in der Nähe der Tanklaster „ausschließlich um Aufständische gehandelt“ habe. Einen Feldjägerbericht vom 9. September, der von zivilen Toten und Versäumnissen bei der Aufklärung berichtet, hat er nach eigener Auskunft erst am 5. oder 6. Oktober erhalten und ihn am Tag darauf an die Nato weitergeleitet – wie er zunächst behauptete: ohne ihn selbst zur Kenntnis genommen zu haben; am Donnerstag im Ausschuss dann sagte er, das Dokument habe ihn geärgert, weil es „nicht vorteilhaft war für unsere Soldaten“.

Ob nach der BND-Mail tatsächlich Merkels Rolle in der Affäre in den Mittelpunkt des Interesses rückt, bleibt abzuwarten. Deutlich vorsichtiger als Jung hatte sie bereits am 6. September gesagt: „Wenn es zivile Opfer gegeben hat, dann werde ich das natürlich zutiefst bedauern“. Und in ihrer Regierungserklärung zwei Tage später ergänzte sie: „Die lückenlose Aufklärung des Vorfalls vom letzten Freitag und seiner Folgen ist für mich und die ganze Bundesregierung ein Gebot der Selbstverständlichkeit.“ Sie verbitte sich jedoch Vorverurteilungen, „und zwar von wem auch immer, im Inland genauso wie im Ausland“. Das wurde als Rückendeckung für Jung verstanden, galt aber den EU-Außenministern, die bereits am Morgen nach dem Angriff, in Kopenhagen tagend, noch von wenig eigener Sachkenntnis getrübt, scharfe Worte der Kritik am deutschen Vorgehen gefunden hatten.

Bis Ende November 2009, als die „Bild“-Zeitung aus dem Feldjägerbericht zitiert, wird in die Öffentlichkeit kommuniziert, der Luftangriff sei angemessen gewesen und zivile Tote habe es nicht oder in nicht genau bekanntem Umfang gegeben. Dann wird von „Informationspannen“ gesprochen – die auch zur Begründung für die Entlassung von Staatssekretär Peter Wichert und Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan herhalten müssen. Jetzt aber steht ein anderer Verdacht im Raum: Hat die Bundesregierung vor dem Hintergrund des Wahlkampfs zur Bundestagswahl vom 27. September, der Ablehnung des Afghanistaneinsatzes in der öffentlichen Meinung und zunehmender Kritik ehemaliger Regierungsmitglieder am Isaf-Einsatz ganz bewusst falsch oder verspätet informiert? Diese Frage harrt nach wie vor einer Antwort.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false