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Politik: Länder über Kreuz

Der Streit um das Kopftuch hat die Republik gespalten – jeder deutet das Karlsruher Urteil jetzt in seinem Sinn

Die Sache mit dem Kopftuch wäre so einfach gewesen, hätte sich das Verwaltungsgericht Stuttgart mit seiner Meinung zum Fall Fereshta Ludin durchgesetzt. Im März 2000 verschloss es der muslimischen Lehrerin die staatlichen Schultore mit der Begründung, „dass für Lehrer, die nicht christlichen Religionen anhängen, ihre Religionsausübung im Dienst nur unter engeren Voraussetzungen möglich ist, als dies bei Lehrern der Fall ist, die der christlichen Religion anhängen“. Soll heißen: Lehrern ist das Kopftuch im Klassenzimmer verboten, ein Kreuz nicht.

Aber so einfach ist es nicht. Das Urteil aus Karlsruhe, das ein Verbot den Ländern überantwortet, hat die Regierenden in Verwirrung gestürzt. Hessen, Bayern, Bremen und Niedersachsen wollen Kopftuch-Verbotsgesetze für Lehrer, Berlin sogar für den gesamten öffentlichen Dienst. Rheinland-Pfalz, Hamburg, Schleswig-Holstein, Nordrhein- Westfalen und das Saarland lehnen dies dagegen ab. Die Stuttgarter Kultusministerin will nur das Kopftuch aus den Schulen verbannen, die Kollegin aus dem Justizressort sagt dagegen, dann müssten auch Kreuze oder andere religiöse Symbole vom Lehrkörper verschwinden. Hessens Ministerpräsident gab am Wochenende bekannt, er wolle am liebsten einheitliche Gesetze für sämtliche Bundesländer; Thüringens Justizminister meinte zeitgleich, man brauche eigentlich keine neuen Gesetze dafür – und behauptete damit exakt das Gegenteil von dem, was der Karlsruher Richterspruch verlangt. Und über allem schwebt die grüne Migrationsbeauftragte Marieluise Beck, beschwört Passagen des Urteils, die sich für staatliche Toleranz aussprechen und mahnt zur Gleichbehandlung: Wer auf das Kopftuch ziele, treffe auch Schwesterntracht oder die jüdische Kipa.

Anderthalb Wochen nach dem Kopftuch-Urteil bietet die Republik ein ähnlich gespaltenes Bild wir vor acht Jahren, als das Verfassungsgericht das Kruzifix aus den Klassenräumen verbannte. Nur waren damals die Konsequenzen klar: Wenn sich nur ein Schüler, ein Vater oder eine Mutter gegen ein Kruzifix ausspricht, muss es weg. Mit dem Ergebnis, dass die Kruzifixe wie eh und je in den Klassenzimmern hängen. Das Kopftuch-Urteil ist Interpretationen dagegen zugänglicher. Andersherum: Es verzichtet auf klare Vorgaben, wie die drei Richter bemängelten, die im Zweiten Senat des Gerichts mit ihrer Meinung unterlagen.

Auch die Verfassungsrechtler sind unentschieden. Einige meinten im Sinne Berlins, das Urteil zwinge dazu, das Kopftuch im gesamten öffentlichen Dienst zu überdenken. Der Berliner Experte Christian Pestalozza warnte indes davor, es zu verallgemeinern. Tatsächlich jedoch beschränkt sich das Gericht bei der Frage, welche „Gefahren“ von einem Kopftuch ausgehen könnten, allein auf den Schuldienst.

Auch in der Frage der Gleichbehandlung wird es kaum Einigkeit geben. Das Gericht hat lediglich festgestellt, dass ein gesetzliches Konzept, das Kopftuchträgerinnen als im dienstrechtlichen Sinne ungeeignet erachte, alle Religionen gleichzubehandeln habe. Juristisch ist diese Feststellung zwingend. Allerdings sagt sie wenig darüber aus, ob Kreuz und Kopftuch auch tatsächlich gleichbehandelt werden müssen.

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