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Liberaler Urinstinkt: Die Frage nach „der Lebenswirklichkeit der Menschen“

FDP-Chef Philipp Rösler fordert auf dem Parteitag in Berlin die Besinnung auf die FDP-Werte. Trotzdem stellt Rösler die Partei auf eine inhaltliche Erweiterung ein - auch der Mindestlohn wird ein zukünftiges Thema.

Von Antje Sirleschtov

Es ist nur neun Wochen her, da hätte niemand in der FDP darauf gewettet, dass Philipp Rösler als Parteivorsitzender in die Bundestagswahl ziehen wird. Die Umfragewerte der Liberalen waren seit seiner Amtsübernahme dauerhaft im Keller, der Vorsitzende selbst wirkte unentschlossen, uninspiriert und ohne Kraft, die FDP aus dem inhaltlichen Loch herauszuführen, in der sie Guido Westerwelle im Frühjahr 2011 hinterlassen hatte.

Doch wie so oft in der Politik war gestern gestern und morgen sieht alles ganz anders aus. Unter Rösler hat die FDP in Niedersachsen Ende Januar ein respektables Ergebnis bei den Landtagswahlen erzielt. Der Vorsitzende selbst hat danach die Kritiker in die Schranken gewiesen: Er bot Rainer Brüderle den Posten des Parteivorsitzenden öffentlich an und setzte darauf, dass der ablehnt und sich damit in der Parteihierarchie hinter ihn einreiht.

An diesem Wochenende hat der Vorsitzende seinen Willen zum Durchhalten bekundet. „Fehler“ habe er gemacht, sagte Rösler beim Parteitag im Berliner Hotel Estrel. Er gestand auch sehr persönlich ein, dass er manches Mal ans Hinschmeißen gedacht habe. Doch „die innere Überzeugung, die Idee der Freiheit“, habe ihn vor dem Rückzug bewahrt. Rösler weiß, dass es ihm in den ersten beiden Jahren an der Parteispitze nicht gelungen ist, seine Partei neu zu strukturieren. Doch er will die Parteimitglieder nicht ohne Aufmunterung in den Bundestagswahlkampf schicken. Die FDP sei die „einzige liberale Kraft, die es noch gibt“, rief Rösler seiner Partei zu. Überall, von SPD über Grüne bis hin zur CDU und CSU sehe er überall nur „Staatsgläubigkeit“, Steuererhöhungen und mehr Bürokratie: „Das wird das Ergebnis sein, wenn wir es nicht verhindern.“ Es ist eine Erinnerung an die liberalen Urinstinkte, von der sich Rösler so viel Unterstützung erhofft, dass es in der Bundestagswahl im September zu einem Wahlergebnis reicht, mit dem die FDP zumindest in den nächsten Bundestag einziehen, wenn nicht gar die schwarz-gelbe Koalition fortsetzen kann. Mit 95 Prozent wurde Rösler vor zwei Jahren zum Parteichef beim Parteitag in Rostock gewählt. 85,7 Prozent der Stimmen erhielt er am Samstagnachmittag in Berlin.

Inhaltlich hat Rösler seiner Partei an diesem Wochenende eine Verbreiterung verordnet. Entlastung von Steuern und Abgaben, die Themen der FDP in den letzten Jahren, wolle er nicht der Vergangenheit angehören lassen. Sie seien „nach wie vor wichtig“ für eine Partei, die sich um die Interessen von Unternehmern, Selbstständigen und Arbeitnehmern kümmern will. Gleichzeitig müsse sich die FDP stärker als bisher die Frage stellen, was liberale Politik mit „der Lebenswirklichkeit der Menschen“ zu tun habe. Und dann sei man rasch bei Fragen wie der leistungsgerechten Bezahlung von Menschen, die in Regionen ohne Tarifbindung lebten, und bei der Gleichstellung von Mann und Frau. Einen flächendeckenden Mindestlohn wolle man zwar nicht, sagte Rösler. Und auch ein Bekenntnis zur Frauenquote legte der FDP-Chef nicht ab. Aber er mahnte seine Partei, über die Chancengleichheit von Frauen nachzudenken. Und eine Öffnung in Richtung Mindestlohn wollte die FDP am Samstagabend noch verabschieden.

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