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STAFFELÜBERGABEPortugal übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft von Deutschland: Lissabons Agenda

Portugal verfolgt ehrgeizige Ziele: die Ausformulierung des EU-Vertrags und eine Partnerschaft mit Afrika

Im portugiesischen Regierungspalast herrscht erwartungsvolle Vorfreude. „Wenn wir es schaffen, den EU-Vertrag in Lissabon zu unterzeichnen, würde dies dem Land einen fantastischen moralischen Auftrieb geben“ , sagte Portugals Regierungschef Jose Socrates, der an diesem Sonntag von Bundeskanzlerin Angela Merkel die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt – in einem symbolischen Akt überreichte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) bereits am Samstag den „Staffelstab“ an seinen portugiesischen Amtskollegen Luis Amado. Die Ratspräsidentschaft kommt dem Sozialisten Socrates gerade recht, um von der sozialen und wirtschaftlichen Krise seines Landes abzulenken. Innenpolitisch bläst Socrates, der mit einer strengen Sparpolitik versucht, das Haushaltsdefizit von knapp vier Prozent in den Griff zu bekommen, der Wind ins Gesicht. Er verordnete seinen Landsleuten mehr Arbeit, weniger Urlaub, eingefrorene Löhne, geringere Vorruhestandsrenten, höhere Steuern und einen lockereren Kündigungsschutz.

„Wir werden uns mit aller Kraft in den Dienst Europas stellen“, kündigte Socrates an. Schon im Juli sollen die Experten beginnen, jenes Vertragsgerüst mit Leben zu füllen, dessen Eckwerte auf dem Gipfel vor einer Woche in Brüssel nach langem Feilschen ausgehandelt wurden. Diese Aufgabe werde absoluten Vorrang haben. Mit Glück könnten die 27 Staats- und Regierungschefs der EU Mitte Oktober in Lissabon den fertigen Vertragstext verabschieden. Eine optimistische Vision, wenn man an das Ringen um eine Miniverfassung zurückdenkt, das den Brüsseler Gipfel unter deutschem Vorsitz an den Rand des Scheiterns brachte. Zumal die polnische Regierung hat den beim Brüsseler Verfassungsgipfel mühsam ausgehandelten neuen EU-Vertrag in Teilen schon wieder infrage gestellt hat. Der polnische Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski forderte am Freitag, bei der Ende Juli geplanten Regierungskonferenz müsse erneut über Möglichkeiten einer Sperrminorität im Ministerrat beraten werden.

Zweiter Arbeitsschwerpunkt ist für Socrates die außenpolitische Ausrichtung der EU Richtung Süden, und zwar über das Mittelmeer hinweg. „Wir müssen Afrika auf die europäische Tagesordnung setzen und mit dem Kontinent eine strategische Partnerschaft entwickeln.“ Zu lange habe Europa seine afrikanischen Nachbarn vernachlässigt. Es sei ein „großer Fehler“ gewesen, dass es in den vergangenen sieben Jahren keinen EU-Gipfel mit Afrika gegeben habe. Portugal werde deshalb Anfang Dezember ein Spitzentreffen mit dem Schwarzen Kontinent organisieren. Dabei soll es um für die EU so wichtige Themen wie Einwanderung, Entwicklungspolitik und wirtschaftliche Zusammenarbeit gehen.

Auch mit Brasilien, der aufsteigenden Wirtschaftsmacht in Lateinamerika und größtes portugiesischsprachiges Land der Welt, soll es schon in Kürze eine EU-Konferenz geben. Mit Brasilien, mit fast 190 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichster Staat Südamerikas, müsse die EU künftig eine bevorzugte Partnerschaft pflegen.

Ralph Schulze[Madrid]

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