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Der US-Whistleblower Edward Snowden wird 2019 per Video beim Web Summit in Portugal interviewt.

© imago images

Löchriger Schutz für Whistleblower: Die Regierung traut sich nicht

Zu viele Ausnahmen, keine Anonymität und zu geringe Strafen: Warum ein neuer Gesetzentwurf nicht zu einer anderen Fehlerkultur führen wird. Ein Gastbeitrag.

Kai Dittmann ist Koordinator für Policy & Advocacy der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF).

Oft als Nestbeschmutzer und Denunziantinnen beschimpft, sind Whistleblower die ersten Mutigen, die Missstände bekämpfen. Ihnen haben wir es zu verdanken, dass Skandale wie Wirecard, beschämende Zustände in der Pflege und verantwortungsloses Verhalten von Geheimdiensten überhaupt erst an die Öffentlichkeit gekommen sind.

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Die Bundesregierung bringt gerade ein Gesetz auf den Weg, das Menschen schützen soll, die Missstände aufzeigen. Whistleblower werden demnach künftig vor Repressalien geschützt, wenn sie sich an eine Meldestelle im Unternehmen oder an das Bundesamt für Justiz wenden.

Wenn die Meldung sich aber etwa um Verschlusssachen dreht oder das Fehlverhalten kein Rechtsverstoß ist, dann gilt der Schutz nicht. Das ist einer Demokratie unwürdig.

Der Entwurf – der im Übrigen viel zu spät die entsprechende Richtlinie der EU umsetzt – wird von Unternehmensseite gelobt. Die Familienunternehmer geraten gar in „positives Staunen für eine tatsächlich erbrachte Zurückhaltung des Gesetzgebers“.

Wirksamen Schutz für Hinweisgeber, so kann man sich nach diesem Lob von falscher Seite denken, wird es mit diesem Gesetz in Zukunft nicht geben.

Der Stempel „Nur für den Dienstgebrauch“ macht das Gesetz unwirksam

Whistleblower wie Edward Snowden, der die maßlose Überwachung der amerikanischen Geheimdienste öffentlich machte, hätte auch in Deutschland seine Probleme gehabt. Mit dem geplanten „Whistleblowerschutz“ wäre er auch bei uns schutzlos geblieben: Zum einen sollen Verschlusssachen von streng geheim bis nur für den Dienstgebrauch komplett vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen werden.

Dabei geht es hierbei nicht nur um Geheimnisse, die die Sicherheit des Staates gefährden. Von der Frage, wie viele Bordbistros der Bahn geschlossen sind, bis zur BND-NSA-Überwachungsaffäre sind in der Praxis fast alle relevanten Dokumente Verschlusssachen.

Wie kann es sein, dass das Gesetz jedem Behördenleiter erlaubt, sich mit einem „Nur für den Dienstgebrauch“-Stempel aus dem Gesetz herauszuziehen? Zum anderen ist neben diesen Dokumenten auch die Arbeit der Geheimdienste komplett aus dem Anwendungsbereich des Gesetzentwurfs ausgeschlossen. Absolut unverständlich angesichts der vielen Skandale und weitreichenden Befugnisse der Behörden.

 [Lesen Sie auch: Eine Reportage von Andreas Austilat über das Schicksal von mehreren Whistleblowern. (T+) ]

Erst vergangenes Jahr bekamen alle 19 Geheimdienste die Erlaubnis, Staatstrojaner einzusetzen. Wann, wofür und wen die Spähsoftware bespitzelt, bleibt von außen nahezu unkontrollierbar. Nicht umsonst haben wir von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) erst kürzlich eine weitere Verfassungsbeschwerde gegen diesen maßlosen Eingriff in die Grundrechte eingereicht.

Gäbe es funktionierende Hinweissysteme, bräuchte es unsere Arbeit vielleicht gar nicht oder sie wäre wenigstens leichter. Gute Hinweissysteme könnten Probleme aufarbeiten, bevor sie zu Skandalen werden.

Die Berliner Altenpflegerin, die einen hohen Preis zahlte

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, warum wir dringend ein umfassendes Hinweisgeber-Gesetz brauchen. Der Gesetzentwurf selbst verweist auf den Fall von Brigitte Heinisch, die einen hohen Preis für ihr Rückgrat zahlen musste.

Die Berliner Altenpflegerin meldete Anfang der 2000er die menschenunwürdigen Zuständen in einer Pflegeeinrichtung. Bewohner lagen bis zum Mittag in Urin und Kot. Andere bekamen wegen des eklatanten Personalmangels nicht genügend zu essen und zu trinken. Nach vergeblichen internen Meldeversuchen und jahrelangem Mobbing erstattete sie Strafanzeige und wurde daraufhin entlassen.

Die Altenpflegerin Brigitte Heinisch vor der Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht 2012 (Archivbild) .

© picture alliance / dpa

Der geplante Gesetzesentwurf würde Menschen wie Heinisch wahrscheinlich auch heute nicht schützen. Denn er schützt nur Hinweisgeber bei bestimmten Rechtsverstößen. Der Pflegenotstand war damals jedoch wohl nicht illegal. Der Skandal lag gerade darin, dass die legalen Betreuungsschlüssel unwürdig niedrig angesetzt waren.

Ein wirksamer Schutz für Whistleblowing muss daher auch Meldungen von sonstigem Fehlverhalten, das nicht rechtswidrig ist, schützen. Unklar ist, warum sich das Justizministerium hier nicht an den Koalitionsvertrag hält, der das explizit vorsieht.

Wirecard versuchte, seinen Whistleblower zu „zerstören“

Beim Wirecard-Skandal wurde Bilanzfälschung in Milliardenhöhe über Jahre und auf höchster Ebene verschleiert. Der Whistleblower Pav Gill war 2018 aus dem Wirecard-Konzern gedrängt worden, nachdem hochrangige Führungskräfte eine interne Untersuchung von Betrugsvorwürfen blockiert hatten. Er wollte zunächst anonym bleiben, um seinen Ruf in der Finanzwelt zu schützen.

Dass es Mut braucht, sich gegen einen Milliardenkonzern zu stellen, um Betrug an allerhöchster Stelle aufzudecken, ist klar. „Sie haben versucht, mich zu zerstören: Beruflich und emotional“, beschreibt Gill das Verhalten des Unternehmens ihm gegenüber nach seinen Aufdeckungen.

Man würde denken, dass das geplante Gesetz Menschen wie Gill den Schutz gibt, den sie brauchen, um den Schritt zu gehen. Und zwar ohne sich selbst exponieren zu müssen. Doch auch nach dem neuen Entwurf hätte sich Gill nicht anonym an eine Stelle wenden können.

Die Verfasser des Gesetzes haben sich dagegen entschieden, anonyme Meldungen als möglichen Meldeweg verpflichtend in das Gesetz aufzunehmen.

Die für Unternehmen vorgesehenen Bußgelder im Falle von Repressionen gegen Whistleblower von bis zu 100.000 Euro sind zudem viel zu gering angesetzt – wenn es um Milliarden-Skandale geht. Eine Orientierung am Jahresumsatz des Unternehmens wäre hier das angemessenere Mittel der Wahl.

Snowden, Heinisch, und Gill – sie alle waren mutig und zahlten für ihre Courage einen hohen Preis. Wir wissen nicht, wieviel mehr Menschen bereit wären, Missstände aufzudecken, wenn sie nicht allzu mutig sein müssten.

Das neue Gesetz sollte eigentlich all diejenigen bestärken, die Einblicke haben in Verborgenes, das doch im Interesse der Allgemeinheit gesehen werden muss. Anstatt darauf zu hoffen, dass es die mutigen Heilsbringer gibt, sollte das Gesetz doch eine Realität schaffen, in der auch die weniger Mutigen zu Wort kommen können. Dieser Gesetzentwurf legt ihnen jedoch ohne Grund Stein um Stein in den Weg.

Kai Dittmann

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