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Was Computer angeht, wissen Kinder oft besser Bescheid als ihre Eltern.

© dpa

Mama, geh’ online!: Eltern wissen zu wenig über das Surfverhalten ihrer Kinder

Immer mehr Kinder sind immer früher im Netz. Viele Eltern haben Angst vor den Folgen. Studien sagen: Papa und Mama wissen zu wenig.

Wie häufig sind Jugendliche online?

Seit 1998 ist der Anteil der Jugendlichen, die täglich oder mehrmals wöchentlich online sind, rasant gestiegen. Von zehn auf über 90 Prozent. Aktuell sind 93 Prozent der neun- bis 16-jährigen Kinder und Jugendlichen in Europa wöchentlich mindestens einmal online, 60 Prozent von ihnen jeden Tag. Laut der europaweiten Untersuchung „EU-Kids-online“ werden die Netzbesucher immer jünger. In Schweden und Dänemark liegt das durchschnittliche Einstiegsalter bei sieben Jahren. Zwei Drittel der über 25 000 befragten Kinder sagten über ihre Medienkompetenz: „Ich weiß mehr als meine Eltern.“

Ist das nicht gefährlich, die Kinder werden doch süchtig?

Die kürzlich veröffentlichte Studie „Exif – Exzessive Internetnutzung in Familien“ des Hamburger Medienprofessors Rudolf Kammerl im Auftrag des Bundesfamilienministeriums hat sich ausgiebig mit Onlinesucht beschäftigt. Ein Ergebnis: Trotz der Dynamik bei den Userzahlen zeige die übergroße Mehrheit ein „normales Verhalten“. Die Autoren betonen, dass es bislang keine Suchtkriterien gebe, auf die man sich international geeinigt habe. Bis heute greifen die wenigen Experten auf Erfahrungen und Richtwerte aus den Bereichen Glücksspiel- oder Alkoholsucht zurück. Exif warnt: „Eine Etikettierung der Internetnutzung könne als Pathologisierung der jüngeren Generation verstanden werden.“ Ein weiteres Ergebnis lautet: Eltern deklarieren den Medienkonsum ihrer Kinder vorschnell als exzessiv. Deshalb sagt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans (FDP), dem Tagesspiegel: „Auch Eltern haben die Verantwortung hinzuzulernen und sich mit dem Internet zu beschäftigen, denn sonst können sie die Gefahren und die Chancen nicht objektiv einschätzen. Sie müssen darauf achten, dass ihre Kinder aber auch außerhalb des Internets Freunde treffen, Hobbys nachgehen und körperlich aktiv sind.“

Wenn es um allgemeingültige Ergebnisse geht, muss man aber vorsichtig sein in seinen Urteilen. Das sagen auch die Forscher, die 2011 für das Bundesgesundheitsministerium die „Pinta“-Studie zum gleichen Thema verfassten. Es heißt: „Die Datenlage zur Internetabhängigkeit ist defizitär. Die zur Verfügung stehenden Befunde für Deutschland weisen methodische Mängel auf, insbesondere basieren sie nicht auf repräsentativen Stichproben, lassen also keine allgemeingültigen Aussagen zu.“ Pinta kam zwar selbst zu Ergebnissen, aber das seien „Schätzungen“. Die Studie basiert auf Telefon-Interviews, trotzdem wird in den Ergebnissen von „Internetabhängigkeit“ gesprochen, dabei stehen klinische Untersuchungen in Folgestudien noch aus.

Aus allen bisherigen Untersuchungen von Schülern zwischen 13 und 16 Jahren wissen die Forscher, dass es ungefähr drei Prozent süchtige Online-Computerspieler gibt. Allerdings erfüllte etwa die Hälfte nach einem Jahr die ohnehin lückenhaften diagnostischen Kriterien nicht mehr und ist plötzlich wieder „normal“.

Wie gut können die Eltern einschätzen, ob ihr Kind gefährdet ist?

Wie gut können die Eltern einschätzen, ob ihr Kind gefährdet ist?

Eher schlecht. Denn Eltern stehen neuen Medien nach Expertenmeinung generell ablehnend gegenüber, sie fühlen sich schnell schuldig, wenn die Kinder online sind, sie sind aber gleichzeitig kaum gewillt, sich mit dem Thema und der Begleitung ihrer Kinder auseinanderzusetzen. Deshalb übernehmen sie auch schnell die populärwissenschaftliche Sichtweise, dass das Internet generell gefährlich ist. Laut der Studie Exif sind Angst und Unwissen besonders bei alleinerziehenden Eltern verbreitet, vor allem bei Müttern. Auch eine gerade beendete weitere europaweite Studie speziell zum Suchtverhalten kam zum Ergebnis, dass die familiären Bedingungen die stärksten Faktoren für pathologische Internetnutzung seien.

In der umfangreichen „Kim“-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest von 2010 haben die Eltern bei der Frage nach der Bedeutung des Internets für ihre Kinder mehrheitlich negative Folgen assoziiert. Die Autoren fassen die Sicht der Eltern wie folgt zusammen: „Es zeigt sich, dass dem Internet diffuse Ängste entgegenstehen.“

Übrigens ist das Fernsehen nicht nur bei Kindern nach wie vor das Medium Nummer eins. Trotz des rasanten Wandels der Medienwelt hat der Fernsehkonsum weiter stetig zugenommen.

Gibt es einen typischen Internetnutzer, der in Gefahr ist, süchtig zu werden?

Exif hat anhand der Auswertungen der Studie eine Typologie eines solchen Protagonisten erstellt: „Er ist häufig männlich, wächst in einer sozioökonomisch schwächeren Familie auf und lebt oftmals bei einem alleinerziehenden Elternteil. Er besucht eher eine Haupt- oder Förderschule und gehört dort häufiger zu den schwächeren Schülern.“

Vereinsamt die Jugend online?

Auch das geben die Daten nicht her. Problematischer Medienkonsum bedeute nicht automatisch soziale Isolation, sagen die Forscher. 96 Prozent der Jugendlichen kennen laut Exif-Studie ihre virtuellen Kontakte persönlich. Die Autoren schreiben im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Kindern und Eltern: „Die Widersprüche (in der Wahrnehmung, Anm. d. Red.) verweisen auf die Frage, inwiefern die Nutzung von sozialen Netzwerken und anderen Onlinediensten überhaupt mit sozialer Isolation einhergehen kann.“ Eine Schlussfolgerung lautet: „In der öffentlichen Diskussion um internetsüchtige Kinder und Jugendliche wird häufig das Bild eines vereinsamten, blassen Computer-Nerds gezeichnet, der sein trauriges Dasein zwischen Bildschirmen und leeren Pizzaschachteln fristet. Auch wenn dieses Zerrbild in Extremfällen zutreffen mag, die Regel ist es nach den Ergebnissen der vorliegenden Studie nicht.“

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