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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Flugzeug nach Washington

© dpa/Kay Nietfeld

Scholz und seine Linie im Ukraine-Konflikt: Man muss nicht immer alle Karten auf den Tisch legen

Der Bundeskanzler hat Nord Stream 2 nicht gleich abgesagt. Wer das kritisiert, hat Scholz und seinen Ansatz einfach nicht verstanden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Was ist eigentlich so falsch daran, wenn der Bundeskanzler in den USA bei seiner Linie bleibt? Will sagen, bei seiner Linie im Ukraine-Konflikt. Das wünscht man sich doch eigentlich: einen Politiker, der nicht situativ oder intuitiv handelt, sondern in einer der größten Sicherheitskrisen auf dem europäischen Kontinent nach dem Zweiten Weltkrieg konsekutiv.

Das ist ja schon fast militärisch: Lage beurteilen, Optionen wägen, dann erst vorgehen. So gesehen ist Olaf Scholz auch in Washington, bei seinem neuen Freund Joe Biden, ziemlich cool geblieben.

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Und was ist, um den Gedanken weiterzuspinnen, eigentlich falsch daran, nicht alle Karten in diesem Konflikt sofort auf den Tisch zu legen? Will sagen: Russlands Präsidenten Wladimir Putin nicht schon vorher genau zu erklären, was geschehen wird, wenn seine Truppen die Grenze zur Ukraine überschreiten. Umgekehrt ist es doch viel besser.

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Das Gegenüber bleibt im Unklaren über die verschiedenen Maßnahmen, die dann ergriffen werden. Auf dass in diesem Fall Putin sich nicht jetzt schon quasi in aller Ruhe ausrechnen kann, ob er (und sein Land) diese Sanktionen zu tragen bereit oder in der Lage sind. Ihm diese Möglichkeit zu verschaffen, wäre eher unklug.

Strategische Ambiguität

Ein bisschen „strategische Ambiguität“, wie Scholz das auf seine Art, auf Scholzisch, nannte, ist also schon ganz gut. Und wer jetzt noch kritisiert, dass der deutsche Kanzler Nord Stream 2 nicht gleich abgesagt hat, der hat ihn und seinen Ansatz einfach nicht verstanden. Zumal Scholz es doch gar nicht sagen musste, weil das der amerikanische Präsident gesagt hat, unwidersprochen: Aus für Nord Stream 2 bei Einmarsch. Und der Kanzler fügte hinzu, dass ganz bestimmt einig gehandelt werde.

Dass das Wort Nord Stream 2 von seiner Seite so explizit ungesagt bleibt, auch dafür kann diplomatisch gedacht durchaus einiges sprechen. Was das sein könnte? Also, dafür sollte man Putins Rationalität vielleicht nicht überschätzen. Das ist das gängige Bild von ihm: immer kühl, immer rational.

Aber so apodiktisch stimmt das womöglich gar nicht, es kann gut auch Emotionalität im Spiel sein. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler, der sich mit dem Entstehen von Kriegen auskennt, meint ja, das Problem bei Putin sei, dass der sich in einer Situation befinde, in der er relativ leicht sein Gesicht verlieren könne.

Da könnte doch etwas dran sein, oder? Putin hat sich so weit vorgewagt, dass es schwierig ist, verbal wie militärisch abzurüsten. Die Gefahr, das Gesicht zu verlieren, wächst dann logischerweise, wenn niemand den Versuch unternimmt, seine Situation zu verstehen. Verstehen heißt nun nicht, Putins Vorstellung von einer Lösung zu übernehmen. Vielmehr gehört es zum Wägen der eigenen Optionen.

Vorhut in Moskau

Insofern wirkt es geradezu wie kluge, abgestimmte Politik, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sich quasi als Vorhut in Moskau angehört hat, was Putin antreibt. Nicht dass der Präsident meint, er müsse mehr gewaltsam tun, als er ursprünglich vorhatte, um nach außen wie – Obacht – nach innen Stärke zu zeigen.

Also: Ein Ziel gemeinschaftlicher und verteilter Aktionen kann sein, dass Putin bei alledem sein Gesicht nicht verliert. Was von ferne an eine Strategie erinnert, die schon Willy Brandt verfolgt hat, der Meister der Entspannungspolitik. In diesem Fall wäre das, auf der Basis eindeutig (vor-)abgesprochener Sanktionen zugleich den Gesprächsfaden mit Russland nicht abreißen zu lassen.

Denn, noch einmal, zu Putins Emotionalität: Möglicherweise fühlt er sich tatsächlich eingekreist. Vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer. Was, wenn er sich gegen diese, nach Münkler, „Einkreisungsobsessionen“ am Ende unvernünftig wehrt? Darum gilt es, auf diese Frage des Kriegsexperten schnell eine Antwort zu suchen: ob das russische Handeln gar nicht vom Wunsch nach Stärke, sondern von Angst und Sorge getrieben ist.

Gute Arbeitsteilung

Die Arbeitsteilung des Westens läuft hier doch anscheinend ziemlich gut. Die einen können ja Waffen an die Ukraine liefern, die anderen aber müssen versuchen, die Russen zu verstehen. Und verstehen zu wollen, ist eine notwendige Voraussetzung für jede Strategie, zumal zur Deeskalation. Die Deutschen, Scholz, auch Annalena Baerbock, schaffen ihren Anteil daran nicht mit weiterer Konfrontation, sprich Waffenlieferungen.

Es ist dazu schon auch so: Jahrzehntelang sollten die Deutschen raus aus den Knobelbechern. Nun sind sie es – und es ist auch nicht recht? Die Zurückhaltung lässt sich nicht wegkommandieren, sagte Volker Rühe als Verteidigungsminister. Immer noch nicht. Gut so!

Krieg ist nicht einfach die Fortsetzung von Diplomatie mit anderen Mitteln; Krieg folgt, wenn Diplomatie versagt hat. Womöglich war es in der Rückschau ganz gut von Scholz als Kanzler, geradezu stoisch cool zu bleiben.

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