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 Maria

© Illustration: Martha von Maydell, www.mvmpapercuts.com

Maria als Brückenbauerin zwischen den Religionen: Die Mutter Jesu ist im Islam emanzipiert und spirituell

Im Koran ist ihr eine ganze Sure gewidmet - diese starke Figur könnte die katholischen Frauen inspirieren, die für Gleichberechtigung kämpfen. Ein Gastbeitrag.

Der Autor ist Schlegel-Professor für Systematische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn sowie Vorsitzender des International Center for Comparative Theology and Social Issues. Zusammen mit der Islamischen Theologin Muna Tatari veröffentlichte er 2021 das Buch „Prophetin, Jungfrau, Mutter. Maria im Koran“ im Herder-Verlag

Viele Menschen wissen gar nicht, dass es auch im Koran eine Weihnachtsgeschichte gibt und welch außergewöhnliche Rolle Maria dabei spielt. Offenbar hat sich der Prophet Muhammad in der Zeit seines anfänglichen Scheiterns in Mekka stark an ihr orientiert und sich durch sie getröstet gesehen.

Wenn Maria in der koranischen Version der Weihnachtsgeschichte in ihrer Verlassenheit und Bedürftigkeit geschildert wird – alleine in der Wüste, angegriffen von ihrer ganzen Sippe wegen ihres unehelichen Kindes, voller Verzweiflung und mit dem Wunsch zu sterben – , so sieht Muhammad sein eigenes Schicksal gespiegelt.

Auch er wird von seinen eigenen Leuten in Mekka abgelehnt und muss schließlich fliehen. Auch ihm wird nicht geglaubt, dass er das Wort Gottes empfangen hat und ohne eigenes Zutun verkünden will. So wie Maria auch nach dem koranischen Zeugnis durch den Geist Gottes dazu befähigt wird, Gottes Wort zur Welt zu bringen, so ist es auch in Muhammads Wahrnehmung die Kraft Gottes, die ihm seine prophetische Rede eingibt.

Maria ist ein Rollenmodell für den Propheten Muhammad

Berührend ist, mit welch starken Worten der Koran die Reinheit Mariens und ihre Erwählung vor allen Frauen herausstellt. Aber Maria ist nicht nur als Rollenmodell für Muhammad von Bedeutung, sondern sie inspiriert auch seine Theologie.

Maria ist im Koran eine eigene Sure gewidmet, und diese Sure führt den Gottesnamen der Barmherzigkeit ein. Wenn das Schicksal Mariens geschildert wird, wird aus Allah der Allerbarmer (al-Rahman) – ein Name, der von diesem Moment an die Verkündigung des Korans prägt. Etymologisch ist er im Arabischen mit dem Wort für Gebärmutter verwandt, sodass auch schon in seinem Klang weibliche Züge Gottes sichtbar werden.

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Wie sehr auch die koranische Maria auf Christus hingedacht wird, zeigt sich, wenn Maria den Anschuldigungen ihrer Sippe nichts anderes entgegenzusetzen weiß als den stummen Verweis auf ihren Sohn. Wie auf vielen Ikonen, die auch schon zur Entstehungszeit des Korans verbreitet waren, ist Maria auf diese Weise mit ihrem ganzen Leib Verweis auf ihren Sohn. Und dieser verteidigt seine Mutter bereits als Säugling.

Auch im Johannesevangelium ist es die Mutter Jesu, die sein öffentliches Wirken provoziert. Doch im Koran beginnt diese erste prophetische Rede Jesu schon kurz nach seiner Geburt – eben weil Maria gefährdet ist und seine Hilfe braucht. Erst später wird dann auch im Koran Jesus als Heiler und Retter der Vielen sichtbar. In der Weihnachtsgeschichte selbst zeigt sich seine Besonderheit nur mit Maria zusammen.

Die koranische Maria ist der Gegenentwurf zur imperialen Propaganda des byzantinischen Kaisers

Die koranische Maria ist nicht nur in beeindruckender Nähe zu den Schilderungen des Lukasevangeliums, sondern auch ein Gegenentwurf zur imperialen Propaganda des damaligen byzantinischen Kaisers Herakleios. Herakleios stand im Krieg mit den Persern in der Entstehungszeit des Korans mit dem Rücken zur Wand. 614 verlor er Jerusalem, dessen Besitz durch einen christlichen Kaiser als Unterpfand der Bindung Gottes an seine Kirche verstanden wurde. Dieser Verlust wog schwerer als der Verlust Ägyptens, das als Kornkammer des Reiches wichtig war, weil insbesondere der Verlust der Kreuzesreliquie traumatisch für das christlich-imperiale Selbstverständnis war.

Besonders prekär war die Lage 626, als Herakleios selbst mit seiner Armee im Osten des Reiches gegen die Perser kämpfte und Byzanz beinahe schutzlos der Belagerung der Avaren ausgesetzt war. Die Hoftheologen des Kaisers wussten sich keinen anderen Rat mehr, als Maria um Hilfe zu bitten. Ihre im Marienheiligtum von Blachernai – unmittelbar vor den Stadtmauern von Byzanz – aufbewahrten Kleider waren die letzte Hoffnung der Stadtbevölkerung, weil sie als unzerstörbar galten.

Als während der Belagerung die feindliche Flotte durch einen Seesturm just vor Blachernai vernichtet wurde, war für die Propagandisten des Kaisers, aber auch für die einfache Stadtbevölkerung klar, dass dieser Sieg allein Maria zuzuschreiben sei. Byzanz war gerettet und Herakleios gelang wenig später der entscheidende Sieg gegen die Perser. Danach ließ er überall verkünden, dass er nur durch Maria gesiegt hat und dass es keinen Gott geben könne, der Maria und Jesus in der Schlacht besiegen kann. Derartige Aussagen wirken auf uns heute befremdlich. Aber sie prägten die Propaganda des Kaisers in der Entstehungszeit des Korans. Herakleios war übrigens der erste Herrscher, der zum Heiligen Krieg aufrief und den auf dem Schlachtfeld Getöteten versprach, direkt ins Paradies einzugehen.

Die Hagia Sophia in Istanbul, bedeutendstes Bauwerk der frühbyzantinischen Architektur.

© imago/CHROMORANGE

Wie erst die neuere Forschung entdeckt hat, sind viele Aussagen des Korans über Maria und Jesus als Antworten auf die Propaganda des Herakleios zu verstehen. Der Verkünder des Korans macht unmissverständlich klar, dass Gott auch Maria und Jesus besiegen und zerstören könnte, wenn er wollte. Das imperiale Dogma von der Unzerstörbarkeit der Kleider Mariens wird zurückgewiesen – und das führt zu Aussagen, die der Forschung lange Rätsel aufgegeben hat. So betont der Koran an einer Stelle, dass Maria und Jesus genauso essen und trinken mussten wie wir alle (Sure 5, Vers 75 des Koran).

Damit nimmt er die spätantike christliche Vorstellung aufs Korn, dass Maria und Jesus durch ihre Befreiung von der Ursünde auch von den Folgen des Sündenfalls befreit waren und weder leiden noch essen noch sterben mussten. Natürlich war auch spätantiken Christen klar, dass Maria und Jesus gegessen und gelitten haben und gestorben sind. Ihnen war nur wichtig, dass dies nicht durch ihre Natur notwendig , sondern ein freiwilliger Willensakt war. Zumindest für die imperiale Theologie in Byzanz lässt sich diese Idee nachweisen, und sie wird soll begründen, dass sich die Unzerstörbarkeit des Leibes Mariens auf ihre Kleider übertragen hat, sodass diese nun die Stadt im Krieg beschützen können.

Der Koran beharrt dagegen darauf, dass Jesus und Maria wie alle Menschen essen mussten und dass Maria etwa bei der Geburt Jesu ganz normale Wehen hatte und damit Schmerzen leiden musste wie alle Gebärenden. Für Christen heute ist das selbstverständlich; in der Spätantike lag darin ein Frontalangriff auf die imperiale Propaganda von Byzanz. Von daher spricht viel dafür, dass die Passagen des Korans, die sich kritisch mit Maria und Jesus auseinandersetzen, gar nicht gegen das Christentum als solches gerichtet sind, sondern gegen seine Nutzung für militärische Propaganda – und gegen die in der Spätantike immer deutlicher werdende Auffassung, dass die Kirche das Judentum ersetzt habe und überflüssig mache.

Die hohe Wertschätzung der Maria soll auch antichristliche Propaganda unterbinden

Die koranische Maria wird so nicht nur wieder zu ihrer biblisch-spirituellen Bedeutung zurückgeführt, sondern auch aus ihrer antijüdischen Inanspruchnahme befreit. Zugleich soll die hohe Wertschätzung, die Maria im Koran genießt, auch eine antichristliche Propaganda von jüdischer Seite unterbinden. Denn die zwischenzeitliche Eroberung Jerusalems durch die Perser erweckte in jüdischen Kreisen die Hoffnung auf die Wiedererrichtung des Tempels und führte etwa in dem jüdischen Text Sefer Serubabbel dazu, apokalyptische Kämpfe gegen den Messias und seine Mutter heraufzubeschwören und auf diese Weise die antijüdische Propaganda der Reichskirche zurückzuweisen.

In diesem gerade auf der arabischen Halbinsel virulenten jüdisch-christlichen Propagandakrieg bemüht sich der Koran um eine mäßigende mittlere Position, die beiden Seiten wechselseitige Anerkennung ermöglichen soll. Die koranische Maria wird also zur Brückenfigur bei der Befriedung religiöser Konflikte – also genau das Gegenteil ihrer Rolle als Kriegsgöttin, die ihr der christliche Kaiser zudachte.

Während Maria und Jesus christlicherseits in der Spätantike gerne als Überbietung jüdischer Hoffnungen verstanden wurden, versucht der Koran die jüdischen und christlichen Hoffnungen in einen dialogischen und wechselseitig bereichernden Austausch zu bringen. Er will in Maria und Jesus nicht das Ende des Judentums sehen, sondern legitime neue Ausdrucksgestalten der abrahamischen Religion, die bleibend auf das Judentum verwiesen ist.

Der Koran gibt der Mutter von Maria eine prominente Rolle

Eine besondere Pointe liegt schließlich in der Tatsache, dass es die Mutter der koranischen Maria ist, die Maria und ihre Nachkommen unter den besonderen Schutz Gottes stellt und die ihre Tochter aus eigenem Antrieb dem Tempeldienst weiht. Während man in den christlichen Quellen der Spätantike den Eindruck gewinnt, als seien es vor allem die Bitten des Vaters Mariens, die erhört werden, konzentriert sich der Koran ganz auf die Mutter Mariens und ihr Gottesverhältnis.

Sie wird in einer besonderen Vertrautheit mit Gott geschildert, dem sie deswegen ihr Kind weihen will. Koranisch wird hier die jüdische Tradition aufgegriffen, in der Kinder für das Torastudium und den Tempeldienst freigestellt werden können. Doch eine solche Freistellung war jüdisch eigentlich nur für Jungen vorgesehen ist – so wie im Christentum auch kein Mädchen für einen liturgischen Dienst geweiht werden konnte. Von daher kann man die kultisch anmutende Rolle der Mutter Mariens genauso wie die Weihe oder Freistellung Mariens für den Tempeldienst durchaus als Ermutigung der koranischen Maria für die Frauen verstehen, die sich derzeit unter dem Label Maria 2.0, um mehr Frauenrechte in der katholischen Kirche mühen.

Allerdings bietet der Koran auch ihren Gegnerinnen, den Mitgliedern der Initiative Maria 1.0, welcher der Erhalt der überlieferten katholischen Lehre ein Anliegen ist, wichtige Anknüpfungspunkte. Denn diese kämpferische und dem Tempeldienst geweihte Maria ist immer zugleich eine demütige, gottergebene Jungfrau und damit Idealbild der Frauen von Maria 1.0.

Die koranische Maria kann also nicht nur als Brückenbauerin im Gespräch der Religionen dienen, sondern der Blick auf sie könnte auch helfen, innerkatholische Konflikte zu befrieden. Die koranische Maria will eben nicht Galionsfigur einer neuen Religion oder Weltanschauung sein, sondern sie will Mittlerin zwischen den Religionen und Weltanschauungen sein. Gerade in dieser vermittelnden Rolle will sie den Menschen Gott nahebringen.

Klaus von Stosch

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