zum Hauptinhalt
Gesundheitsreform

© dpa

Medizinische Versorgung: Wo fehlt’s uns denn?

Mangel oder Panikmache: Kassen und Ärzte streiten über die medizinische Versorgung.

Berlin - Ihre Zahlen sind neu, und ihr Alarmruf ist lauter geworden: Der Ärztemangel schreite „dramatisch“ voran, warnten Ärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) am Freitag. Engpässe drohten vor allem in haus- und fachärztlicher Grundversorgung sowie in den Kliniken. Die Krankenkassen widersprachen dieser Diagnose. Mit „Zahlentricksereien“ wollten die Ärztefunktionäre nur „Jahr für Jahr milliardenschwere Honorarerhöhungen durchsetzen“, sagte Spitzenverbands-Vize Johann-Magnus von Stackelberg. Fachärzte gebe es „mehr als genug“, einzig mit Allgemeinmedizinern könne es problematisch werden.

Trotz steigenden Bedarfs durch immer ältere Patienten werde sich die Zahl der Hausärzte bis 2020 um knapp 7000 verringern, so die Medizinerverbände. Doch mit Versorgungslücken sei auch bei Augen-, Frauen-, Haut- und Nervenärzten zu rechnen. Das Durchschnittsalter niedergelassener Ärzte liege bereits bei 51,9 Jahren – in zehn Jahren müssten fast 52 000 ersetzt sein. In den Kliniken werde sich die Personalnot ebenfalls verschärfen. Schon jetzt seien dort 5000 Stellen unbesetzt. Deutschland befinde sich, so Ärztekammer-Vize Frank-Ulrich Montgomery, „auf dem Weg in eine Wartelistenmedizin“.

Dass die Zahl der Ärzte in Deutschland beständig zunimmt, irritiert die Funktionäre dabei keineswegs. Der Bedarf steige weit stärker, argumentiert Montgomery. Als Gründe nennt er den medizinischen Fortschritt, die Alterung der Gesellschaft und kürzere Arzt-Arbeitszeiten. Zudem gebe es immer mehr weibliche Ärzte, die familiär eingespannt seien und ihr Arbeitsvolumen drosselten. Die Folge: Es braucht mehr Personal für dasselbe Pensum.

Spürbaren Ärztezuwachs jedoch verzeichne man nur noch in in hoch spezialisierten Bereichen wie der Humangenetik, sagte KBV-Chef Andreas Köhler. In unterversorgten Gebieten dagegen ließen sich immer weniger Jungmediziner nieder. Laut Köhler scheuen sie vor allem das wirtschaftliche Risiko. Die Zukunft gehöre nicht der Einzelpraxis, sondern „Berufsausübungsgemeinschaften“, folgert er. Die müsse man stärker fördern.

Überhaupt ist die aktuelle Bedarfsplanung aus Köhlers Sicht ein „Relikt aus Zeiten der sogenannten Ärzteschwemme“. Sie müsse kleinräumiger werden und auf demografische Veränderung reagieren. Hier müsse der Gesetzgeber helfen. In der ostdeutschen Provinz etwa brauche man kaum noch Kinderärzte, sondern Mediziner für alte und multimorbide Menschen. Und für die Bevölkerung sei es auch „wichtiger, chronischen Rückenschmerz behandelt zu bekommen als die genetische Ursache für Haarausfall zu erfahren“.

Bei allem Zahlen-Dissens: Auf bessere Bedarfsplanung dringen auch die Kassen. Künftig sollten sich Ärzte nur noch dort niederlassen dürfen, wo es „echten Bedarf“ gibt, fordert Stackelberg. „Überversorgung haben wir schon genug.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false