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Hetzen durch die Netze - mit Meinungsrobotern, so genannten Social Bots, geht es noch besser.

© dpa

"Social Bots" und freie Rede: Meinungsfreiheit schützt Menschenverachtung - auch in der digitalen Welt

Der Wunsch nach Zensur für Hass und Hetze ist verständlich. Aber Grundrechte sollten für eine Internet-Politik nicht verkürzt werden. Ein Kommentar.

Meinungsfreiheit ist die Matrjoschka-Puppe des Grundgesetzes. Schraubt man sie auf, schaut einen die nächste Meinungsfreiheit an, dann noch eine und noch eine. Je mehr es gibt, desto kleiner wird sie leider auch. Die neueste steht in einer von der „Zeit“-Stiftung angeregten „Charta der digitalen Grundrechte“, die dem EU-Parlament vorgestellt werden soll, und ist leidlich originell: „Jeder hat das Recht, in der digitalen Welt seine Meinung frei zu äußern“. Interessanter ist Absatz zwei, „digitale Hetze, Mobbing sowie Aktivitäten, die geeignet sind, den Ruf oder die Unversehrtheit einer Person ernsthaft zu gefährden, sind zu verhindern.“

Hetze? Mobbing? Rufschädigende Aktivitäten? Sind das nicht auch genau jene Äußerungsformen, derentwegen die Freiheit so weit reicht wie sie reicht? Offenbar ist eine neue höhere Ethik dabei, alte Kategorien aufzulösen. Nehmen wir die Meinungsfreiheit nach Artikel fünf des Grundgesetzes. Sie schützt Hass und Hetze und natürlich auch, wenn der eine dem anderen den Ruf ruiniert – insbesondere wenn er dafür gute Gründe hat. Sie schützt auch extremistische und sogar rechts- und verfassungswidrige Ansichten inklusive einer guten Portion Menschenverachtung. Natürlich hat die Meinungsfreiheit Grenzen. Doch sie sind im Vergleich zum digitalen Vorschlag unbestimmt, was Spielräume ermöglicht und die Freiheit flexibel macht.

Was vor zwei Jahren noch als „rechte Hetze“ galt, purzelt heute politischen Talkshowgästen aus dem Mund. Gerade mit dem Bekämpfen der Hetze, wie es die digitalen Vordenker fordern, ist es deshalb schwierig. Der Justizminister verlangt das zwar von Facebook, aber einen wirksamen Algorithmus, der zuverlässig Hetze markiert und aussondert, hat noch niemand erfunden. Es ist Handarbeit.

Was künftig Meinungsfreiheit bedeutet, wird sich an einem anderen Phänomen der Kommunikation erweisen müssen, der Lüge. In den sozialen Netzwerken sind Meinungsroboter unterwegs, „Social Bots“, die sich vollautomatisiert am politischen Diskurs beteiligen, im Sinne ihrer Programmierer. Gilt für sie die digitale Meinungsfreiheit? Wenn die Lüge erlaubt und in ihrer wertenden Form sogar als Meinung geschützt ist, müsste auch die falsche digitale Identität mit der künstlichen Meinung unter den Schutz fallen. Das wiederum könnte ein anderes Unterfangen erschweren: Die „Social Bots“ als Gefährdung einer freien politischen Willensbildung auszuschalten, die sie langfristig sein könnten.

Die digitale Grundrechte-Charta gibt für den Umgang mit solchen Problemen wenig her. Sie wird auch nicht gebraucht. Wie wir miteinander leben und reden wollen, mit welchen Freiheiten und Beschränkungen, ist eine zutiefst analoge Frage. Ein „digitales“ Sonderrecht ist nur ein Wort – keine Antwort.

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