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Politik: Mensch ärgere dich nicht

Die Abweichler haben die SPD in Nöte gebracht – der Versuch, sie aus der Partei zu werfen, bringt neue

Berlin - Wer abweicht, muss die Folgen tragen. So wird die SPD-Bundesschiedskommission nächsten Montag über den Fall Wolfgang Clement diskutieren, der indirekt abgeraten hatte, in Hessen Andrea Ypsilanti zu wählen. Zugleich laufen Parteiordnungsverfahren gegen drei der vier Dissidenten, die deren Wahl zur Ministerpräsidentin nicht mittragen wollten. Und ein SPD-Ortsverein will wiederum Ypsilanti aus der Partei ausschließen.

Ein Parteiausschluss ist keine politische Gemütsentscheidung, sondern Ergebnis eines streng geregelten Verfahrens, das die Verfassungsrechte der Betroffenen berührt. Er ist nur möglich, wenn das Mitglied vorsätzlich gegen die Satzung oder erheblich gegen Grundsätze oder die Ordnung der Partei verstößt – und damit der Partei „schweren Schaden“ zufügt. So steht es im Parteiengesetz, und dies soll deutlich machen, dass sich Parteien ihre Mitglieder zwar frei wählen dürfen, sie aber nicht wieder einfach loswerden können, wenn sie politisch nicht genehm sind.

Man kann den Abweichlern vieles vorwerfen – jedoch nicht, dass sie Ypsilanti nicht zur Landesmutter wählen wollten. Hier können sich die drei auf den Verfassungsschutz ihres Mandats berufen: Artikel 38, der auch für die Länderparlamente gilt, bestimmt, dass sie Vertreter des ganzen Volkes sind, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und „nur ihrem Gewissen unterworfen“. Das Gewissen eines Mandatsträgers ist nicht hinterfragbar, schon der Verweis darauf schafft eine „unabweisbare, aber auch unwiderlegbare Vermutung zu seinen Gunsten“, wie es im Grundgesetzkommentar von Ingo von Münch und Philip Kunig heißt.

Schafft der Verweis auf das Gewissen also einen Freibrief für parteischädigendes Verhalten? Die Befürworter des Ordnungsverfahrens argumentieren, es gehe nicht um die Abstimmung, sondern um ihre Vorwegnahme: Wer in den Gremien und auf Parteitagen erst auf Kurs bleibt und dann öffentlich einen Rückzieher macht, falle der Partei in den Rücken. So mag sich das Geschehen darstellen, umgekehrt aber würde es bedeuten, die drei hätten korrekt gehandelt, wenn sie – wie im Falle von Heide Simonis in Kiel – Ypsilanti erst in der Landtagssitzung selbst hätten durchfallen lassen. Oder hätte man sie auch mit einem Verfahren überzogen, wenn sie sich erst danach als Dissidenten geoutet hätten? Zudem kann man natürlich politisch argumentieren: Parteischädigend haben sich nicht die Abweichler verhalten, die auf Ypsilantis Versprechen pochten, sich von der Linkspartei fernzuhalten, sondern Ypsilanti, indem sie gegen den Rat des Bundesvorstands einen weiteren Anlauf zur Macht unternommen hat.

Allerdings sind Wahlversprechen nicht justiziabel, ihr Bruch kann es daher auch nicht sein. Und die Ypsilanti- Freunde können einen Passus im SPD-Organisationsstatut in Stellung bringen: Gegen Parteigrundsätze verstößt insbesondere, „wer das Gebot der innerparteilichen Solidarität außer Acht lässt“. Hier gibt es Anklänge an eine „Parteidisziplin“, die analog der „Fraktionsdisziplin“ ein Mindestmaß an Kohärenz sichern soll, um funktions- und wettbewerbsfähig zu bleiben. Auch eine Nähe zum arbeitsrechtlichen „Tendenzschutz“ von Kirchen oder Medienhäusern ist erkennbar. Freilich stoßen solche Pflichten an Grenzen, wenn es um die Mandatsausübung geht. Und Parteien sind lockerere Verbünde als Fraktionen.

Die Widersprüche sind kaum auflösbar, weshalb die Gerichte, sollten sie die Verfahren dereinst überprüfen, nach den Zielen der Parteiordnungsregeln fragen werden. Hier ist jedenfalls klar, was sie nicht sind: Ein Druck- und Sanktionsmittel, um Kritiker auf Kurs zu bringen oder hernach zu bestrafen, schon gar nicht für ihr Abstimmungsverhalten als Mandatsträger. Laufen die Verfahren weiter, droht die nächste Blamage.

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